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Antikörper gegen Krebs beim Menschen aus Mäusen gewinnen

Ein neues Tiermodell als Schlüssel zu neuen Methoden der Krebsbekämpfung

Die Zellen unseres Immunsystems haben die erstaunliche Fähigkeit, Milliarden von Molekülen zu abtasten und dabei genau zu unterscheiden, ob es sich um köpereigenes Gewebe oder das von fremden Organismen handelt. Dank dieser Fähigkeit schützt unser Körper sich vor Viren und Bakterien, und sie ist auch der Grund, warum unsere Immunabwehr transplantierte Organe und Gewebe abstößt. Bei Krebs hingegen versagt unser Immunsystem häufig, weswegen Forscher nach Wegen suchen, unsere Abwehrzellen auf die Erkennung und Bekämpfung von Krebs hin zu trainieren. Im Labor von Prof. Dr. Thomas Blankenstein (MDC und Charité) wurde jetzt ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu diesem Ziel erreicht. Sein Team hat Mäusen menschliche Immunabwehr-Komponenten transplantiert in der Hoffnung, in diesen Tieren Antikörper gegen Krebs heranzüchten zu können, um diese als neuartige Therapie gegen Krebs beim Menschen zu verwenden. Ihre Arbeit wurde in Nature Medicine (September 2010) veröffentlicht. 

Die Mäuse aus dem Labor von Thomas Blankenstein produzieren T-Zellen die mit Tumoren assoziierte Moleküle erkennen können. Die den Mäusen entnommenen T-Zellen wurden mit einer Methode namens Flow-Zytometrie sortiert. In diesem Fall waren drei Prozent der CD8+ T-Zellen in der Lage, an ein bestimmtes Molekül zu binden das mit Melanomen beim Menschen assoziiert ist. Diese Ausbeute ist groß genug für die Heranzüchtung und Entnahme von genügend T-Zellen für die Extraktion des genetischen Bauplans für ihren TCR.

Die Arbeitsgruppe von Prof. Blankenstein beschäftigt sich mit bestimmten weißen Blutkörperchen, so genannten T-Zellen, die bei der Erkennung körperfremder Moleküle eine zentrale Rolle spielen. Während ihrer Entwicklung werden T-Zellen mit jeweils einzigartigen Rezeptoren ausgestattet, dem T-Zell Rezeptor (TCR). Eine Immunantwort beginnt in der Regel damit, dass ein TCR an ein fremdes Molekül bindet. Daraufhin teilt sich die T-Zelle und produziert Millionen von Zellen mit identischem TCR, die den Eindringling erkennen und eine Immunreaktion auslösen können. 

Dass TCRs eine so große Zahl von Molekülen erkennen können liegt an ihrer Entstehungsgeschichte. Wenn der Körper neue T-Zellen produziert, werden aus einem Katalog von 170 Genen jeweils kleine Bauteile ausgewählt, neu zusammen gefügt und der Rest gelöscht, so als würde man einen aus einer Zeitung willkürlich einzelne Wörter ausschneiden um sie zu einem neuen Text zu mischen. Dieser Prozess ist völlig zufällig, und es entstehen dabei viele TCRs, die köpereigene Eiweiße erkennen können. Würden solche TCR im Körper freigesetzt, könnten sie gesundes Gewebe angreifen und eine Autoimmunkrankheit auslösen. Das passiert normalerweise nicht, denn der Körper zerstört T-Zellen mit diesen Rezeptoren. Alle sich entwickelnden T-Zellen werden zunächst im Thymus mit einem Katalog köpereigener Eiweiße zusammengebracht, und wenn ein TCR an diese bindet, wird die Zelle vernichtet. 

Dieser Mechanismus schützt uns vor Autoimmunerkrankungen, aber verhindert auch die Ausbildung von T-Zellen, die der Bekämpfung von Tumoren dienen könnten. Wahrscheinlich entstehen die meisten Krebsarten durch Mutationen von einem oder mehr Proteinen. Das bedeutet, dass sie ein einzigartiges Eiweiß enthalten müssen, welches der Körper noch nie vorher gesehen hat. Viele dieser Eiweiße werden auf der Oberfläche der Tumorzellen präsentiert, wo sie durch das Immunsystem entdeckt werden können. Man nimmt an, dass viele Tumoren solche Moleküle besitzen, so genannte tumorspezifische Antikörper (TSAs). Allerdings sind diese TSAs häufig einzigartig für nur einen individuellen Tumor. Bei der Suche nach Therapien konzentrieren die Forscher sich deshalb auf tumorassoziierte Antikörper (TAA), weil diese dieselbe Tumorart bei unterschiedlichen Patienten auszeichnen. Weil aber auch die TAA körpereigene Proteine sind, die durch eine Mutation verändert wurden, versagt die Körpereigene Abwehr oft bei Krebs. T-Zellen, die den Krebs würde erkennen können, werden meist schon im Prozess der Ausbildung aussortiert. 

„Würden solche Zellen existieren, könnten wir sie entnehmen, im Labor vermehren und den Patienten damit behandeln,“ sagt Blankenstein. „Sie wären dann in der Lage, eine Immunreaktion auszulösen, die den Tumor angreift und zerstört. Weil der Körper diese T-Zellen jedoch schon vorher aussortiert, können wir sie nicht vom Menschen‚ ernten’“. 

Es ist jedoch möglich, solche T-Zellen in einer anderen Spezies wachsen zu lassen. Das Immunsystem der Maus ist unserem sehr ähnlich. Wie unseres, bildet es T-Zellen mit individuellen TCR aus und unterzieht diese in ähnlicher Weise einem Trainingsprozess im Thymus. Dabei werden T-Zellen aussortiert, die an Mäuseproteine binden, nicht aber die, die menschliches Gewebe erkennen. Wenn ein TAA oder ein menschliches Protein auf Mäuse übertragen wird, erkennen die T-Zellen der Maus das Molekül, vermehren sich und lösen eine Immunreaktion aus. 

Theoretisch bedeutet dies, dass man solche Zellen von der Maus herstellen lassen kann, sagt Blankenstein. Dann könnte man den genetischen Code des TCR extrahieren und menschliche T-Zellen damit ausstatten. In den Patienten zurück übertragen könnten diese modifizierten Zellen dort den Tumor bekämpfen. 

„Aber wir können keine TCRs von Mäusen verwenden, weil sie sich von menschlichen unterscheiden. Der Körper würde sie als fremd erkennen und abstoßen." 

Die Lösung, die Liang-Ping Li und andere Mitglieder der Arbeitsgruppe gefunden haben ist die, den kompletten Satz von Genen, die für die Produktion von T-Zellen benötigt werden, vom Menschen auf die Maus zu transplantieren, damit diese die menschliche Variante des TCR herstellen können. Der Aufwand hierfür war gewaltig, denn die Anleitung zum Bau von TCR ist umfangreich und liegt verstreut über weite Teile von zwei Chromosomen. Eine derart große Anzahl von Genen vom Menschen auf die Maus zu übertragen brachte enorme technische Herausforderungen mit sich und erforderte mehrere Jahre Arbeit. Diese Arbeit hat die Arbeitsgruppe jetzt erfolgreich abgeschlossen und das Ergebnis, so glaubt Blankenstein, wird wahrscheinlich die größte Menge Gene sein, die jemals vom Menschen auf die Maus übertragen wurde. 

Nun beginnt die Forschergruppe, das therapeutische Potenzial der Tiere zu erforschen. Die erste Aufgabe wird es sein, mit Krebs assoziierte Moleküle zu identifizieren und sie der Immunabwehr der Mäuse zu präsentieren. Werden die Moleküle von einem TCR entdeckt, wird sich die T-Zelle vermehren und kann dann aus der Maus gewonnen werden. Blankenstein und seine Forscherkollegen können dann die genetische Information für das TCR – die ja ursprünglich vom Menschen stammt – destillieren und menschliche T-Zellen damit ausstatten. Im Labor vermehrt und dem Patienten wieder zurück übertragen werden diese T-Zellen, so hofft man, eine Immunreaktion auslösen, die den Tumor zerstört. 

Diese Vorgehensweise könnte Blankenstein und seinen Kollegen auch bei der Beantwortung offener Fragen zu Autoimmunkrankheiten helfen. Solche Krankheiten entstehen wahrscheinlich durch Fehler im Trainingsprozess der T-Zellen. Vermutlich ist es so, dass die wenigen T-Zellen, die durch die Kontrollen im Thymus schlüpfen, obwohl sie an körpereigenes Eiweiß binden können nur dann zum Problem werden, wenn noch etwas anderes schief läuft. Welches im Einzelnen die TCR sind, die von solchen selbstzerstörerischen T-Zellen benutzt werden, ist noch ein Rätsel, sagt Thomas Blankenstein. Die Maus könnte dabei helfen, diese Frage zu beantworten, weil mit ihrer Hilfe all jene TCRs gegen menschliche Proteine gefunden werden können, die im gesunden menschlichen Körper zerstört werden, und nur bei den wenigen Personen vorkommen, die unter einer Autoimmunerkrankung leiden. Sind solche TCR einmal entdeckt, kann man Therapien entwickeln, die selektiv nur die krank machenden T-Zellen ausschalten, anstatt die Immunreaktion des Körpers insgesamt zu dämpfen. Die Strategie, die das Labor von Thomas Blankenstein entwickelt könnte also nicht nur im Kampf gegen Krebs, sondern auch gegen andere komplexe Erkrankungen helfen.

Highlight Reference:

Li LP, Lampert JC, Chen X, Leitao C, Popović J, Müller W, Blankenstein T. Transgenic mice with a diverse human T cell antigen receptor repertoire. Nat Med. 2010 Sep;16(9):1029-34