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Vor 30 Jahren starb der russische Genetiker Nikolaj V. Timoféeff-Ressovsky

Vor 30 Jahren, am 28. März 1981, starb in Moskau der russische Genetiker Nikolaj V. Timoféeff-Ressovsky. Er hatte von 1925 bis 1945 in Berlin-Buch im damaligen Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Hirnforschung auf dem heutigen Campus Berlin-Buch gearbeitet. An ihn erinnern auf dem Campus eine Gedenktafel an seinem ehemaligen Wohnhaus und ein Laborgebäude für Medizinische Genomforschung, das das Max-Delbrück-Centrum für Molekukare Medizin (MDC) und das Leibniz-Institut für Molekuare Pharmakologie (FMP) gemeinsam errichtet und nach ihm benannt haben.

Nikolaj Vladimirovich Timoféeff-Ressovsky (9. September 1900 – 28. März 1981) (Photo: privat)

1935 veröffentlichten Timoféeff-Ressovsky und die Physiker
Max Delbrück, damals Assistent von Lise Meitner am Kaiser-Wilhelm-Institut für
Chemie in Berlin-Dahlem, und Karl Günter Zimmer, die Arbeit „Über die Natur der
Genmutation und der Genstruktur“. Diese Arbeit sollte für die Entwicklung der
Molekularbiologie wegweisend werden. Sie erschien in den „Nachrichten der
Gesellschaft für Wissenschaften zu Göttingen“. Größere Aufmerksamkeit gewann
das „Grüne Pamphlet“ (so genannt nach dem grünen Einband des Sonderdrucks)
durch die Vorlesungsreihe „What is Life - The Physical Aspect of the Living
Cell“ des Nobelpreisträgers Erwin Schrödinger, das 1944 in der Cambridge
University Press als Buch erschien.

Timoféeff-Ressovsky wurde am 9. September 1900 in Moskau in
Russland geboren. Er studierte Zoologie, Naturwissenschaften und
Kunstgeschichte in Moskau, unterbrochen von I. Weltkrieg, Militärzeit und
Bürgerkrieg. Nach seinem Studium arbeitete er über Mutationen und den Erbgang
von Genen bei der Taufliege Drosophila.
Der Neurologe und Hirnforscher Oskar Vogt, der auf Bitten der Sowjetregierung
in Moskau Lenins Hirn untersuchte, interessierte sich für die genetischen
Grundlagen neurologischer Erkrankungen und als er fragte, welche Genetiker zu
ihm nach Berlin kommen könnten, wurden ihm Timoféeff-Ressovsky und seine Frau
Elena Aleksandrowna (1898 – 1973), seine wichtigste Mitarbeiterin, empfohlen.
1925 lud Vogt das Forscherehepaar als Gastwissenschaftler nach Berlin an das
KWI für Hirnforschung, wo Timoféeff-Ressovsky die genetische Abteilung aufbaute
und später leitete.

1930 zog das KWI für Hirnforschung nach Berlin-Buch. Dort
hatte die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit Hilfe der Rockefeller-Stiftung einen
Neubau mit einer Forschungsklinik errichtet. Mit seinen Forschungsabteilungen,
darunter der Genetik von Timoféeff-Ressovsky, sowie der Klinik, galt das Bucher
Institut als das zu jener Zeit größte und modernste seiner Art weltweit.

1933 kamen die Nazis die Macht. Trotz Aufforderung Moskaus
1937, Nazideutschland zu verlassen und in die Sowjetunion zurückzukehren,
blieben Timoféeff-Ressovsky und seine Frau in Berlin-Buch. In der Sowjetunion
gab es zu jener Zeit die „stalinistischen Säuberungen“ und da die Genetik unter
dem Biologen Trofim Denissowitsch Lyssenko verfemt war, wurden auch Genetiker
verfolgt. Auch zwei von Timoféeffs-Ressovsky‘s jüngeren Brüdern und
Familienmitglieder seiner Frau wurden verhaftet, einer seiner Brüder
hingerichtet.

In Nazideutschland half die Familie Timoféeff-Ressovsky
vielen verfolgten jüdischen und ausländischen Wissenschaftlern und
Zwangsarbeitern. Ihr ältester Sohn Dmitrij (geb. 1923 in Moskau), der Mitglied
einer Widerstandsgruppe war, wurde 1943 von der Gestapo verhaftet und kam noch
am 1. Mai 1945 im KZ Mauthausen/Nebenlager Ebensee ums Leben. Die Timoféeff-Ressovsky‘s
hatten sich ein Jahr lang vergeblich bemüht, ihren Sohn freizubekommen. Ein
Angebot, mit den Nazis zusammenzuarbeiten, hatten sie abgelehnt.

Ab 1944 wurden bis auf die genetische Abteilung von
Timoféeff-Ressovsky alle anderen Abteilungen des KWI für Hirnforschung aus
Berlin unter anderem nach Dillenburg verlagert, später nach Gießen. 1945 nach
dem Einmarsch der Roten Armee wurde Timoféeff-Ressovsky in Berlin vorübergehend
Institutsdirektor und Bürgermeister von Berlin-Buch.

Arbeitslager in der Sowjetunion

Am 14. September 1945 wurde Timoféeff-Ressovsky jedoch in
Berlin verhaftet, in die Sowjetunion verschleppt und im Moskauer Lubjanka
Gefängnis zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt. Ihm war vorgeworfen worden,
1937 trotz Aufforderung nicht in die Sowjetunion zurückgekehrt zu sein und mit
den Nazis kollaboriert zu haben. In dem Moskauer Gefängnis war zu jener Zeit
auch Alexander Solšenizyn inhaftiert, der über die Begegnung mit
Timoféeff-Ressovsky in seinem Buch „Archipel Gulag“ berichtete. Von Moskau kam
Timoféeff-Ressovsky in ein Lager nach Kasachstan und galt als verschollen.

Eine Abteilung des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, die Timoféeff-Ressovsky
als Experten für Strahlenschäden im Rahmen des sowjetischen Atombombenprogramms
haben wollte, machte ihn zwei Jahre später in Kasachstan ausfindig, holte ihn
aus dem Arbeitslager und brachte ihn in das geschlossene „Forschungsobjekt 0211“
in Sungul im Ural. Dorthin folgten ihm 1947 seine Frau und sein zweiter Sohn
Andrej (geb. 1927 in Berlin). Timoféeff-Ressovsky und seine Frau konnten wieder
gemeinsam wissenschaftlich arbeiten, publizieren durften sie aber bis 1955
nicht.

1955, zwei Jahre nach Stalins Tod, wurde
Timoféeff-Ressovsky Leiter des Biophysikalischen Laboratoriums der Sibirischen
Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Sverdlovsk (heute wieder
Jekaterinburg). Die von ihm geleiteten Sommerseminare wurden zu einer Keimzelle
der Genetik in der Sowjetunion in den 60er Jahren. 1964 erhielt
Timoféeff-Ressovsky die Möglichkeit, am neuen Institut für Medizinische
Radiologie in der geschlossenen Stadt Obninsk im Gebiet Kaluga die Abteilung
für Genetik und Radiobiologie aufzubauen. 1970 wurde er emeritiert, war aber
danach noch weiter wissenschaftlich tätig und veröffentlichte mit seinen
Schülern mehrere Bücher, darunter das kurz vor seinem Tod 1981 erschienene Buch
„Einführung in die Molekulare Radiobiologie“.

Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, zu
dessen Mitglied Timoféeff-Ressovsky 1940 gewählt worden war, ehrte ihn 1959 mit
der Darwin-Plakette und 1970 mit der Gregor-Mendel-Medaille. 1966 war ihm zudem
mit dem Kimber-Preis der National Academy of Sciences der USA die höchste Auszeichnung, die es
international für Genetiker gibt, zuerkannt worden. Diese Ehrungen
konnte Timoféeff-Ressovsky jedoch nicht persönlich entgegennehmen, da es ihm
als nicht-rehabilitiertem Ex-Häftling verboten war, ins Ausland zu reisen. Am
29. April 1973 starb Timoféeff‘s Frau Elena. Er überlebte sie knapp acht Jahre.
Timoféeff starb am 28. März 1981 in Moskau, wenige Tage nach Max Delbrück, der
am 9. März 1981 in Pasadena, USA, gestorben war. Timoféeff-Ressovsky wurde
neben seiner Frau auf dem Friedhof von Obninsk begraben.

Rehabilitation elf Jahre nach seinem Tod

1987, in Russland war die Zeit von Glasnost und Perestroika
angebrochen, erschien der Roman „Subr“ (Der Bison) des russischen
Schriftstellers Daniil Granin. Darin porträtierte er Timoféeff-Ressovsky und
beschrieb die stalinistische Ära und ihre Auswirkungen auf die Biologie. 1988
kam in Köln die deutschsprachige Ausgabe „Der Genetiker“ heraus. Die
DDR-Ausgabe „Sie nannten ihn Ur“ durfte erst ein Jahr später erscheinen. Erst
nach dem Ende der Sowjetunion wurde Timoféeff-Ressovsky im Juni 1992
rehabilitiert, elf Jahre nach seinem Tod.

Auf dem Campus Berlin-Buch erinnert seit dem 17. Oktober
1992, dem Gründungsjahr des MDC, eine Gedenktafel am Torhaus an ihn. Dort hatte
er mit seiner Familie gewohnt. Am 30. Juni 2006 eröffneten das MDC und das
Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) das neue Laborgebäude für
Medizinische Genomforschung, das nach Timoféeff-Ressovsky benannt wurde. Davor
steht sein Portrait in Steinguß, das der Berliner Bildhauer Stefan Kaehne 2006
geschaffen hat.

Zu Ehren Timoféeffs-Ressovsky‘s wurden in den vergangenen
Jahren eine Reihe von Symposien veranstaltet. So wurde sein 100. Geburtstag im
September 2000 sowohl in Russland in Dubna bei Moskau, als auch in Deutschland
am MDC in Berlin-Buch begangen. An beiden Tagungen nahm der Sohn
Timoféeffs-Ressovsky‘s, der Physiker Andrej Timoféeff, teil. 2005 würdigten das
Institut für Physik sowie die Gesellschaften für Genetik Armeniens, Russlands
und der USA auf einem Symposium in Jerewan, Armenien, 70 Jahre Veröffentlichung
des „Grünen Pamphlets“. Im Mai 2008 erschien, herausgegeben vom MDC, die
Broschüre „Genetiker in Berlin-Buch“ mit einem Beitrag von Prof. Manfred
Rajewsky über Timoféeff-Ressovsky. Der Essener Zellbiologe und Krebsforscher,
der sich seit Jahren mit Timoféeff-Ressovsky befasst, hielt außerdem bei dem
Symposium zum 110. Geburtstag am 8. Dezember 2010 den Festvortrag über
Timoféeff-Ressovsky.

Weitere Informationen:

Doppel-Biographie Timoféeff-Ressovsky (von Helga Satzinger
und Annette Vogt), in: Ilse Jahn und Michael Schmitt (Hrsg.). Darwin und Co.: Eine
Geschichte der Biologie in Portraits, München, Beck-Verlag, 2001, Bd.2,
S.442-470 und Anm. S.553-560.

„Genetiker in Berlin-Buch“, mit Beiträgen von Fritz
Melchers, Manfred F. Rajewsky, Jens Reich, Volker Wunderlich; Herausgeber: MDC,
Mai 2008

 

Barbara Bachtler

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