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Detlev Ganten: „Kein Herzschlag soll umsonst sein“

Am 28. März 2016 feiert Prof. Dr. Detlev Ganten, Gründungsdirektor des MDC, seinen 75. Geburtstag. Porträt eines weitsichtigen Wissenschaftlers.

Detlev Ganten hat noch einen Koffer im MDC – präziser: ein ganzes Zimmer. Es wurde auf seine Initiative hin eingerichtet, als er Chef des Instituts war – ein Büro für die Emeriti, zu denen Detlev Ganten selbst längst gehört und das er nutzt, denn der Gründungsdirektor ist weiterhin in verschiedenen Funktionen für das Institut tätig, unter anderem als Chief Editor des Journal of Molecular Medicine.

Detlev Ganten im Gespräch

Weitere Persönlichkeiten im Zeitzeugen-Projekt des MDC

Der Mediziner und langjährige Forschungsmanager in vielen angesehenen Ämtern hat am Ruf des heutigen MDC großen Anteil. In den über zehn Jahren seines Wirkens als Direktor schmiedete Detlev Ganten aus den in Buch ansässigen Akademieinstituten der DDR ein neues Institut für biomedizinische Forschung. Dabei setzte er sich insbesondere für die Translation von der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung ein, förderte den Technologietransfer und die wirtschaftliche Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse. Unter seiner Ägide wurde ein Biotechnologie-Campus in Berlin-Buch aufgebaut, der sich zu einem der bedeutendsten Biotechnologie-Standorte in Deutschland entwickelte – mit dem MDC als Herzstück.

Detlev Ganten Foto: Detlev Ganten

Auch bei den neueren Entwicklungen des Instituts und in Berlin wirkte Detlev Ganten maßgeblich mit. Im Jahre 2004 übernahm er die Aufgabe, die universitäre Medizin in Ost- und in West-Berlin zur neuen vereinigten „Charité – Universitätsmedizin Berlin“ zusammenzuführen, und er gründete die „Stiftung Charité.“ Damit wurde die Zusammenarbeit des MDC mit der Charité weiter verbessert. Im Jahre 2013 schloss sich dann das MDC  mit der Charité unter dem Dach des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIH) zusammen, das von der Stiftung Charité zusätzliche Mittel erhält, um exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an das Institut zu holen – und als deren Stiftungsratsvorsitzender fungiert Ganten seit über zehn Jahren. „Das MDC“, sagt der erfahrene Wissenschaftsmanager, „hat sich toll entwickelt. Qualität und Sichtbarkeit der Forschung sind noch besser geworden, das Drittmittel-Budget hat sich stetig vergrößert. Ich bin begeistert! Besser hätte ich es mir nicht vorstellen können.“

Nicht alles lief immer nach seinen Vorstellungen. In Berlin braucht man Durchhaltevermögen. Philosophisch habe er sich in seinem Leben vor allem von Karl Popper inspirieren lassen, das heißt von dessen zentraler Idee, es gebe kein „falsch“ und „richtig“, sagt Detlev Ganten. Das bedeutete für ihn in der praktischen Umsetzung: keine top down-Entscheidungen fällen, denn „das funktioniert in der Wissenschaft nicht. Außerdem wusste ich schließlich nie, ob ich richtig liege“, sagt Ganten. Er lächelt dabei. Stattdessen setzte er auf kreatives Teamwork mit den Mitarbeitern der Akademieinstitute und mit den neuberufenen Wissenschaftlern, entwickelte Konzepte zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „Wenn man mit gemeinsamer Begeisterung für eine Aufgabe arbeitet, ist vieles möglich, und die Tradition ist eine wichtige Inspiration für die Zukunft“, sagt Detlev Ganten.

 

Der Gründungsdirektor Detlev Ganten (rechts) mit dem ehem. Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (links) zur Eröffnungsfeier des MDC 1992. Foto: MDC

Diese Begeisterung für große Projekte und Ideen kommt bei Detlev Ganten nicht von ungefähr. Er folgt auch hierin Karl Popper, den er persönlich kannte und der den Optimismus zur Pflicht des Menschen erhoben hatte. „Kein Herzschlag soll umsonst sein“, ist Ganten überzeugt, „auch wenn vieles nicht so schnell geht, wie man es gerne hätte – man muss auch Geduld haben.“ Dies gilt sicherlich in hohem Maße für das Thema, das dem Mediziner heute besonders am Herzen liegt: die Prävention von Krankheiten. Sie ist der Schlüssel für eine bessere globale Gesundheit, eine Einsicht, die sich aus über Jahrzehnte erworbener wissenschaftlicher Erkenntnis und der praktischen Anschauung als Mediziner speist. Detlev Ganten ist Bluthochdruck-Forscher und hat mit seinen Arbeiten insbesondere zum Renin-Angiotensin-System dazu beigetragen, dass die Krankheit, an der heute in Deutschland jeder zweite Erwachsene leidet, sehr gut behandelbar ist. Außerdem „kann man der Krankheit wunderbar vorbeugen – mit der richtigen Lebensweise, also gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung“, sagt Detlev Ganten.

Gesundheitliche Vorbeugung und ein ganzheitliches Verständnis für die Medizin verstärkt auf die Agenda zu bringen, ist ein zentrales Thema seiner letzten Publikationen und des World Health Summit, den Detlev Ganten 2009 ins Leben rief und als dessen Präsident er sich seither engagiert. „Gesundheit ist ein umfassendes Thema. Nur wenn Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mitmachen, können wir die globale Gesundheit verbessern“, lautet sein Credo. Auf der Agenda des Summit, der im Oktober  2016 in Berlin stattfindet, stehen die aktuell brennenden Themen der globalen Gesundheitsversorgung. Zum Beispiel „health security“ im Kontext von Ebola: Wie lässt sich verhindern, dass ganze Staaten von Krankheiten lahmgelegt werden? Weitere Themen sind „climate change and health“, die Gesundheit der Flüchtlinge sowie die stärkere Einbindung von Frauen in die Gesundheitsvorsorge („women empowerment“).

Sein weltweites Engagement hielt und hält Detlev Ganten nicht davon ab, sich auch vor Ort einzusetzen, so im Freundeskreis des MDC und für die Renovierung der Schlosskirche in Berlin-Buch, ein barockes Kleinod. Die Entwicklung von ganz Buch als ein „erlebbarer Ort der modernen Wissensgesellschaft“ einschließlich der wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Entwicklung ist immer noch sein Credo. In seinen Anfangsjahren am MDC ließ er die Zäune rund um den Campus abreißen – jede Besucherin, jeder Gast sollte sich willkommen fühlen. In einem Projekt „Kunst und Wissenschaft“ sorgte Detlev Ganten mit seiner Frau Ursula Ganten, selber Medizinerin, dafür, dass Plastiken und  Skulpturen auf dem Gelände aufgestellt wurden, an denen Flanierende sich erfreuen können. In den breiten Gängen des MDC-Hauptgebäudes leuchten großformatige Gemälde, die er dem MDC als Dauerleigabe überlassen hat. Detlev Ganten hat also viel mehr als ein Zimmer im Institut – das MDC wäre ohne ihn ein anderer Ort.

Pressemitteilung des MDC vom 22. März 2016


Lebenslauf Prof. Dr. Detlev Ganten

Detlev Ganten wurde im März 1941 in Lüneburg geboren. Er studierte Medizin in Würzburg, Montpellier (Frankreich) und Tübingen und promovierte (Doctor of Philosophy, PhD) an der McGill Universität in Montreal/Kanada. Nach dem Fall der Mauer war er 1991 aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Heidelberg als Gründungsdirektor an das MDC nach Berlin-Buch berufen worden. Das MDC ging 1992 aus drei Zentralinstituten der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin-Buch hervor. In den knapp zwölf Jahren als Stiftungsvorstand hatte er mit der vom MDC 1995 gegründeten BBB Management GmbH Campus Berlin-Buch einen Biotechnologiepark mit Innovations- und Gründerzentrum aufgebaut. Er war zugleich deren Aufsichtsratsvorsitzender.

Von 2004 bis 2008 war Detlev Ganten Vorstandsvorsitzender der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sie zählt zu größten Universitätskliniken Europas. Die Charité ist in ihrer heutigen Form aus der Vereinigung der Hochschulmedizin der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin hervorgegangen. 2010 beging die Charité ihr 300 jähriges Bestehen.

Detlev Ganten war in vielen Gremien und Forschungsorganisationen tätig. Von 1992 bis 1997 war er Mitglied im Wissenschaftlichen Ausschuss des Gesundheitsforschungsrats sowie des Wissenschaftsrats (1993-1998). Von 1993 bis 2004 war er Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Steglitz/Benjamin Franklin und von 1997 bis 2001 Vorsitzender der Helmholtz-Gemeinschaft. Von 2002 bis 2007 war er Mitglied im Nationalen Ethikrat, von 1992 bis 1998 Präsident der World Hypertension League und von 1996 bis 1998 Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ). Seit 2005 ist er Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Charité. Darüber hinaus ist er seit 2009 Vorsitzender im gemeinsamen Kuratorium der Max-Planck-Institute für Kolloid- und Grenzflächenforschung sowie für Molekulare Pflanzenphysiologie Potsdam. Seit 2009 ist er Präsident des World Health Summit.

Seit 2011 ist Detlev Ganten Mitglied der Wissenschaftlichen Beiräte der Université Sorbonne Paris Cité sowie der Einstein Stiftung und Mitglied des Direktoriums der Université Paris Sciences et Lettres. 2013 wurde er zum Co-Vorsitzenden des Interacademy Medical Panels (IAMP) gewählt.

Detlev Ganten erhielt zahlreiche Ehrungen im In- und Ausland, darunter 1990 den Max-Planck-Forschungspreis sowie den Okamoto-Preis, Japan, 1992 den CIBA-Preis des Council für High Blood Pressure Research der American Heart Association. Im Jahr 2000 bekam er das Bundesverdienstkreuz, 2003 wurde er Ritter der französischen Ehrenlegion. Darüber hinaus ist er Mitglied in der Akademie der Wissenschaften Heidelberg, der Polnischen Akademie der Wissenschaften, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sowie der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina - Nationalen Akademie der Wissenschaften.