Eine Brille liegt auf einem aufgeschlagenen Buch

Was lesen Sie gerade, Frau Sonsala?

Anna Sonsala ist administrative Assistentin von vier Juniorgruppen am Max Delbrück Center. Außerdem beschäftigt sie sich mit innovativen Formaten der Wissenschaftskommunikation. Ihr Lesetipp verwandelt Archivmaterial in eine fesselnde Geschichte über die „Zerstörung der ostdeutschen Öffentlichkeit“.

Das Buch „Pressefrühling und Profit: Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten“ der Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger erzählt die Geschichte ostdeutscher Verlage nach dem Mauerfall. Es handelt von geheimen Absprachen und Lobbyismus, ignorierten Beschlüssen und einem aggressiven Preiskampf. Es ist die Geschichte von David gegen Goliath. Ein Happy End gibt es nicht, denn innerhalb von nur zwei Jahren wurden ca. 80 Prozent der ostdeutschen Zeitschriften vom Markt gedrängt. „Spannend wie ein Wirtschaftskrimi“, um es mit den Worten von Kommunikations­wissenschaftler Klaus Beck zu sagen, leistet „Pressefrühling und Profit“ einen Beitrag zur kritischen Mediengeschichte.

Das Buch – eine überarbeitete Version von Trögers Dissertation, für die sie von der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft ausgezeichnet wurde – basiert fast ausschließlich auf Archivmaterial und Interviews mit Zeitzeugen. Indem sich Tröger einer erzählenden Form bedient (Storytelling), kann sie Daten, Zahlen und Fakten so verarbeiten, dass sie auch diejenigen mitreißt, die sich auf dem Gebiet nicht auskennen.

Für Tröger ist es unverzichtbar, sich kritisch mit der Transformation nach dem Mauerfall auseinander zu setzen, denn sie sieht einen starken Zusammenhang zwischen den Erfahrungen in dieser Zeit und den wiederkehrenden „Lügenpresse“-Debatten, die auch mit Wissenschaftsfeindlichkeit und Antiintellektualismus in Verbindung gebracht werden (Face the Facts, Heinrich-Böll-Stiftung).

Mandy Tröger positioniert sich dabei ganz klar als „dritte Generation Ost“ und zeigt sich bereits im Vorwort offen für Kritik. Aus diesem Grund empfehle ich – zwecks Vollständigkeit – im Anschluss an „Pressefrühling und Profit“ den Open-Access-Kommentar von Klaus Beck, der neben viel Lob für Trögers Arbeit auf die eine oder andere Schwachstelle ihrer Argumentation hinweist. Das hilft besonders, wenn Sie, wie ich, die DDR nie selbst erlebt haben.

Diesen Herbst feiern wir erneut einen runden Jahrestag – 35 Jahre Mauerfall. Aus diesem Anlass ist mit dem Aufflammen des öffentlichen Diskurses über den Erfolg der Wiedervereinigung zu rechnen.

Mandy Tröger: „Pressefrühling und Profit: Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten“. Herbert von Halem Verlag, 2019.

 

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