Hanna Zimmermann im Grünen

Ein Fenster (nicht nur) zum Gehirn

Hanna Zimmermann untersucht seit Jahren, wie man die Netzhaut zur Diagnostik neurodegenerativer Erkrankungen nutzten kann. Am ECRC baut sie nun die Arbeitsgruppe „Interdisziplinäre Retinaforschung“ auf – und erhält eine Stiftungsprofessur des Einstein Center Digital Future an der Charité.

Normalerweise sind es Augenärzt*innen, die sich die Netzhaut im Augenhintergrund ansehen. Zum Beispiel, wenn ein Verdacht auf Netzhautablösung oder altersbedingte Makula-Degeneration besteht. Doch neben den lichtempfindlichen Zellen liegen dort auch komplexe Netzwerke aus Nervenzellen und ein Gespinst feinster Blutgefäße. Dr. Hanna Zimmermann, langjährige Mitarbeiterin von Professor Friedemann Paul am Experimental and Clinical Research Center (ECRC) – einer gemeinsamen Einrichtung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin – erforscht nun als Juniorprofessorin mit einer eigenen Arbeitsgruppe das visuelle System. Die Professur ist vom Einstein Center Digital Future gestiftet. Hanna Zimmermanns Ziel: aus Veränderungen der Netzhaut Rückschlüsse auf Erkrankungen des Gehirns und anderer Organe ziehen. Im Fokus stehen dabei neurologische und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Dr. Hanna Zimmermann.

Dass sich die Netzhaut als Krankheitsmarker eignet, zeigt das Beispiel der Multiplen Sklerose (MS). Dabei kommt es häufig zu einer Entzündung der Sehnerven. „Das führt zu Sehstörungen, die oft ein erstes Symptom der MS sind“, erklärt Hanna Zimmermann, die bereits seit einigen Jahren mit MS-Patient*innen arbeitet. Die Entzündung der Sehnerven verursacht eine Verdünnung der neuronalen Schichten der Netzhaut. „Doch bei einigen Patient*innen verdünnen sich die neuronalen Schichten auch ohne subjektive Sehstörungen.  Das ist ein Risikofaktor für einen schwereren Krankheitsverlauf“, sagt Zimmermann. Es helfe zudem einzuschätzen, welche Therapien sich für die Patient*innen unter Abwägung von Nutzen und Risiko am besten eignen.

Dynamische Gefäßanalyse ist vielversprechend

Um Blutgefäße in der Netzhaut zu untersuchen, hat Hanna Zimmermann Methoden wie die dynamische Gefäßanalyse etabliert. Dabei wird die Netzhaut mit einem flackerndem Licht stimuliert, wodurch sich die Gefäßdurchmesser ändern. „Wir können daraus Rückschlüsse auf die Funktion der inneren Gefäßverkleidung ziehen. Es gibt Hinweise darauf, dass diese bei Patient*innen mit Post-Covid-Fatigue gestört ist“, sagt Hanna Zimmermann. Auch die optische Kohärenztomographie-Angiographie, die eine statische Messung der Blutgefäßdichte und -verzweigung der Netzhaut ermöglicht, sei vielversprechend.

Zimmermanns Fokus wird künftig auf der Risikoabschätzung verschiedener Gefäßerkrankungen liegen. „Wir wollen neue Methoden etablieren, mit denen sich bestimmte Phänotypen in der Netzhaut identifizieren lassen. Auch mit Hilfe künstlicher Intelligenz wollen wir Parameter finden, die als prognostische Marker für den Krankheitsverlauf geeignet sind.“

Wenn der Netzhaut-Scan zur Routine wird

Idealerweise würde man damit charakteristische Muster erkennen, bevor eine Krankheit ausgebrochen ist. Der Netzhaut-Scan könnte also irgendwann Teil des Routine-Check-Ups beim Hausarzt oder der Hausärztin werden – zur Früherkennung neurodegenerativer Erkrankungen, von Herz- und Gefäßkrankheiten oder auch von Nierenfunktionsstörungen.

Der Netzhaut-Scan könnte Teil des Routine-Check-Ups beim Hausarzt oder der Hausärztin werden. Er dient zur Früherkennung neurodegenerativer Erkrankungen, von Herz- und Gefäßkrankheiten oder auch von Nierenfunktionsstörungen.

Hanna Zimmermanns wissenschaftliches Interesse an der Netzhaut erwachte schon früh in ihrer Laufbahn: 2009, während des Medizintechnik-Studiums an der Berliner Hochschule für Technik (damals: Beuth Hochschule), untersuchte sie als studentische Hilfskraft im Exzellenzcluster NeuroCure in der Arbeitsgruppe „Klinische Neuroimmunologie“ von Friedemann Paul Veränderungen der Netzhaut bei MS-Patient*innen. „Das war damals ganz neu, und ich war von Anfang an dabei.“ Nach ihrer Masterarbeit zur optischen Kohärenztomographie bei der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen promovierte sie 2018 bei Friedemann Paul. Bis dato forschte die zweifache Mutter in seinem Team.

Die Forscherin hofft, dass die optische Kohärenztomographie schon bald ein Standard in der MS-Diagnostik wird. „Zahlreiche Studien, die wir zusammen mit Kolleg*innen weltweit  durchgeführt haben, belegen, dass wir damit viel mehr über den Verlauf der Erkrankung erkennen können – und das zu einem sehr frühen Zeitpunkt.“ Dafür sei aber noch einiges zu tun. „Die Methode stammt aus der Augenheilkunde. Auch Kliniker*innen aus anderen Bereichen brauchen die Expertise, um die Befunde von Netzhautuntersuchungen richtig interpretieren zu können.“

Text: Catarina Pietschmann