Taisiia Kozak and Tetiana Lahuta

„Es ist schwer, sich auf Forschung zu konzentrieren“

Im Forschungsalltag die Arbeit und die Sorgen um Krieg und Angehörige in Einklang zu bringen, das fällt Doktorandinnen aus der Ukraine wirklich schwer. Wir porträtieren zwei Freundinnen, die jetzt am Max Delbrück Center arbeiten – ein Jahr nachdem sie aus Kiew fliehen mussten.

Taisiia Kozak wollte an diesem Tag eigentlich ins Institut gehen, um für ihre Disseration am Bogomoletz-Institut für Physiologie in Kiew mit Herzzellen zu experimentieren. Stattdessen musste sie am 24. Februar 2022 vor dem Krieg fliehen.

Um 5 Uhr morgens, als russische Panzer in die Ukraine vorrückten, rief eine Freundin bei Taisiia an und warnte die Doktorandin vor der Invasion. Tetiana Lahuta, ihre Mitbewohnerin und Kollegin, saß gerade im Zug nach Kiew und konnte die Bomben in der Ferne hören. Sie sah Menschen zum Bahnhof strömen, bepackt und in Panik. Sobald sie zu Hause angekommen war, sammelten die beiden Freundinnen ihre wichtigsten Dokumente, Laborproben, Kleidung und ein paar Wertgegenstände zusammen und verließen Kiew.

Jetzt, ein Jahr später, leben die Frauen in Berlin. Kozak und Lahuta forschen als Stipendiatinnen der Volkswagenstiftung am Max Delbrück Center. Das gibt ihnen Stabilität, auch wenn sie hoffen, dass sie bald zu ihren Familien zurückkehren und ihre Dissertation in der Heimat fortsetzen können. Die Frauen gehören zu den rund 60.000 ukrainischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die von diesem Krieg betroffen sind. Etwa 6.000 haben das Land verlassen, schätzt das Fachmagazin „Nature“.

v.l.n.r.: Tetiana Lahuta, Taisiia Kozak und Alina Frolova

„Ich arbeite hier in einem sehr guten Labor und treffe viele verschiedene Forscherinnen und Forscher. Ich bin am richtigen Platz für die Wissenschaft“, sagt Tetiana Lahuta. „Aber ich weiß, dass in meiner Heimat Krieg herrscht. Da ist es ist sehr schwer, sich aufs Forschen zu konzentrieren.“

Biologie interessiert sie seit der Oberstufe

Taisiia Kozak und Tetiana Lahuta waren seit 2018 Doktorandinnen am Bogomoletz-Institut für Physiologie in Kiew, sie haben in der Arbeitsgruppe des Pathophysiologen Professor Victor Dosenko geforscht. Doch die Freundinnen haben noch mehr gemeinsam. Beide interessieren sich seit der Oberstufe für Biologie. Beide sind inmitten der Natur aufgewachsen und beide waren von klein auf neugierig, wie die Welt um sie herum funktioniert. Wunderschöne Wälder und Seen umgeben Kostopil, Kozaks Heimatstadt. Lahuta hat ihre Sommer auf dem Hof der Großmutter verbracht, im Dorf Sloboda.

„In der Wissenschaft kann man Neues entdecken, neues Wissen schaffen“, sagt Kozak. „Ich finde das interessant: jemand zu sein, die etwas erschafft.“

Für ihre Dissertation untersucht Kozak, was mit Herzzellen passiert, die zu wenig Sauerstoff bekommen. Sie sah sich an, wie Mitochondrien und Organellen namens Perixomen unter diesen Bedingungen Schaden nehmen. Diese Forschung könnte bei der Therapie von Herzinfarkten und Schlaganfällen helfen.

Lahuta erforscht das Renin-Angiotensin-System, einen Regelkreis verschiedener Hormone, die für Nieren, Herz, Lunge und den allgemeinen Blutfluss entscheidend sind. Sie interessiert sich für Lungenerkrankungen und beschäftigte sich mit der Epigenetik, die die Gene in diesen Signalwegen kontrolliert.

Der Krieg war unvorstellbar

Beide kamen gut mit ihrer Forschung voran, auch noch, als die russische Rhetorik zu den Angriffen auf die ostukrainischen Gebiete Donetzk und Luhansk immer schärfer wurde. Aber ein Krieg war unvorstellbar – bis er begann. „Ich war schockiert, dass Krieg so plötzlich ausbrechen kann. Aber jetzt verstehe ich, dass es gar nicht unvorbereitet war“, sagt Kozak.

Das Ziel war vor allem, dass sie weiterarbeiten können, dass sie weiter zur Wissenschaftsgemeinschaft gehören. Wir wollten ihnen in diesen Zeiten eine gewisse Normalität ermöglichen.
 Feraye Kocaoglu
Feraye Kocaoglu Vom Ukraine-Krisenstab

Die Wissenschaftlerinnen flohen zum Hof von Lahutas Großmutter. Zu ihrem Glück war die Straße sicher. Ihre Kommilitonin Olena Kuch, die gemeinsam mit ihnen an der Mohyla-Akademie in Kiew Chemie studiert hatte, hatte sich auf der Flucht mit ihrem Ehemann und dem Baby für eine bekanntere Route entschieden. Ihr Auto wurde von einem russischen Panzer beschossen und Kuch starb, sagt Kozak. „Es fühlt sich alles widersinnig und unberechenbar an“, sagt sie. „Selbst diese simple Entscheidung, eine viel befahrene Straße zu nehmen, kann über Leben und Tod entscheiden.“

Zwei Wochen später schrieb ihr Doktorvater den beiden PhD-Studentinnen eine E-Mail. In der Arbeitsgruppe von Arturo Zychlinsky, einem Genetiker am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin gebe es befristete Stellen für Wissenschaftler*innen aus der Ukraine. Gemeinsam mit drei anderen Forscherinnen zogen Lahuta und Kozak nach Berlin. Männer zwischen 18 und 62 dürfen während des Krieges das Land nicht verlassen.

Am Max Delbrück Center überlegte zu dieser Zeit der Ukraine-Krisenstab, wie man den Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine helfen könnte. „Das Ziel war vor allem, dass sie weiterarbeiten können, dass sie weiter zur Wissenschaftsgemeinschaft gehören. Wir wollten ihnen in diesen Zeiten eine gewisse Normalität ermöglichen“, sagt Feraye Kocaoglu vom Ukraine-Krisenstab.

Ständige Sorgen

Das Team am Max Delbrück Center schaffte Stellen für Wissenschaftler*innen, die ein Stipendium der Volkswagenstiftung bekommen konnten, und lud Forscher*innen ein, ihren Lebenslauf einzureichen. Von fast 90 Bewerberinnen vermittelten sie drei Doktorandinnen an Arbeitsgruppen, die zu ähnlichen Themen forschen. Kozak arbeitet im Labor von Professor Michael Gotthardt, der das Herz-Kreislauf-System analysiert. Die Arbeitsgruppe von Professor Michael Bader, die die Molekularbiologie von Hormonen im Herz-Kreislauf-System untersucht, hat Lahuta aufgenommen. Alina Frolova, eine weitere ukrainische Stipendiatin, arbeitet im Team von Professor Dominik Müller.

Ihre Zeit in Berlin wäre angenehm, wenn zu Hause kein Krieg wäre, sagen die Studentinnen. Lahuta macht sich ständig Sorgen um ihren Partner, um den Bruder, den Vater und Freunde, die alle irgendwie in den Krieg eingebunden sind. Da die Stromversorgung in der Ukraine unzuverlässig ist, haben die Frauen erhebliche Schwierigkeiten, mit ihren Angehörigen in Kontakt zu bleiben. Kozaks Eltern leben in der Westukraine. Doch selbst dort fällt regelmäßig für bis zu vier Stunden der Strom aus. Aber das ist immer noch besser als in Kiew oder im Osten und Süden des Landes. Dort gibt es teilweise bis zu drei Tage keinen Strom, sagt sie. „Für viele von uns ist es ein sehr großes Problem, eine Verbindung zu bekommen.“

Der Krieg hat die Forschung in der Ukraine erschwert, sagen die Studentinnen. Die Stromausfälle beeinträchtigen die Arbeit im Labor, schließlich brauchen die meisten Messinstrumente Elektrizität. Außerdem sind die Sicherheit und das Leben ständig in Gefahr. Von Bogomoletz aus läuft man drei Minuten bis zum Hauptquartier des Präsidenten. Fast jeden Tag gibt es Raketen- und Drohnenangriffe, sagt Kozak. „Es ist kein sicherer Ort.“

Die Wissenschaft geht weiter – irgendwie

Öffentliche Mittel fließen in den Krieg, für die Forschung ist kaum Geld übrig, sagt Lahuta. Und viele Kollegen sind jetzt Soldaten, manche haben sich freiwillig gemeldet.

Trotzdem tun daheim alle, was sie können und arbeiten von zu Hause. Manche Wissenschaftlerinnen setzen ihre Laborarbeit im Ausland fort und schicken ihre Daten an die Kolleg*innen in der Ukraine, die für sie die statistischen Analysen übernehmen. Andere haben ihre Forschung neu ausgerichtet. Dosenko, ihr Doktorvater, analysiert inzwischen die molekularen Mechanismen hinter der posttraumatischen Belastungsstörung.

v.l.n.r.: Taisiia Kozak, Tetiana Lahuta und Alina Frolova

„Normale Wissenschaft ist in dieser Situation so gut wie unmöglich“, sagt Kozak. „Aber manche versuchen es trotzdem.“

Das Stipendium der beiden Wissenschaftlerinnen am Max Delbrück Center läuft bis Herbst, dann müssen sie sich nach Alternativen umschauen, um ihre Dissertationen fortzusetzen – in Deutschland oder wieder in der Ukraine. Kozak will noch warten, bis sie überhaupt darüber nachdenkt. Lahuta würde gern nach Hause zurückkehren und ihrem Land helfen, wo sie kann. Vielleicht indem sie ihren PhD abschließt und den Wiederaufbau der zerstörten Wissenschaft in der Ukraine unterstützt. Vielleicht meldet sie sich auch freiwillig für den Krieg.

„Vor dem Krieg waren mir mein Beruf und mein PhD sehr wichtig“, sagt sie. „Aber jetzt sehe ich, dass das alles gar nichts bedeutet, wenn man sein Leben verlieren kann. Wenn Menschen, die man liebt, sterben können. Aber ich hoffe, dass mein Abschluss und mein Wissen der Ukraine in Zukunft helfen können.“

gan

 

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