Nashornkühe Fatu und Najin

Nashörner aus Hautzellen

Mit dem groß angelegten Forschungsprojekt „BioRescue“ fördert das Bundesforschungsministerium die künstliche Vermehrung des faktisch ausgestorbenen Nördlichen Breitmaulnashorns. Forscher und Forscherinnen des MDC sind daran beteiligt – mit dem Ziel, aus Hautproben neue Tiere zu zeugen.

Die letzten beiden Weibchen des Nördlichen Breitmaulnashorns leben zurzeit streng bewacht vor Wilderern im kenianischen Wildtierreservat „Ol Pejeta“. De facto ist die Art damit ausgestorben, eine natürliche Fortpflanzung ist nicht mehr möglich. Ein Verbund internationaler Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, darunter auch vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin, erhält nun vier Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für eine einzigartige Forschungsstrategie zur Rettung dieser Großsäugetiere. 

Assistierte Reproduktion gegen das Aussterben  

„Wir haben mit BioRescue ein zweigleisiges Konzept“, sagt der Stammzellforscher Dr. Sebastian Diecke, Leiter der Technologieplattform Stammzellen am MDC. Die beiden verbliebenen Weibchen sollen über künstliche Befruchtung vermehrt werden. Dazu möchte Professor Thomas Hildebrandt, der Initiator des Projekts und Leiter der Abteilung Reproduktionsmanagement am Leibniz-Institut für Zoo und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, den beiden Weibchen mit einem Spezialgerät Eizellen entnehmen. Diese können im Labor mit bereits früher gewonnenen und tiefgefrorenen Spermien befruchtet werden. Die Embryonen würden dann dem Südlichen Breitmaulnashorn, von dem es in Afrika rund 21.000 Exemplare gibt, als Leihmutter eingepflanzt.  

Südliches und Nördliches Breitmaulnashorn sind genetisch eng verwandt und gelten als getrennte Unterarten, die sich vor knapp einer Million Jahren voneinander abgespalten haben. „Deshalb gilt die künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft als realistischer Weg zu Nachkommen“, sagt Diecke. 

Wiederbelebung aus Hautproben  

Um das Nördliche Breitmaulnashorn in seiner genetischen Vielfalt zu erhalten, wird die künstliche Befruchtung jedoch nicht alleine zur Rettung ausreichen. Zumal die beiden überlebenden Nashornkühe auch noch direkt verwandt sind. Sie haben also teils identische Erbanlagen. „Deshalb verfolgen wir einen zweiten futuristischeren Ansatz, um das Überleben der Unterart insgesamt zu ermöglichen“, erklärt Diecke. Er spricht von einer Fortpflanzung, bei der zunächst Hautzellen oder andere Gewebeproben in Stammzellen und schließlich in Keimzellen umgewandelt werden. Unter anderem dafür haben Forscherinnen und Forscher diese Gewebe von Nördlichen Breitmaulnashörnern und anderen Tierarten seit einiger Zeit gesammelt und tiefgefroren.  

Von einem Stück Haut zum lebenden Nashorn zu gelangen, ist aber eine wahre Kür der Zellingenieurskunst.  Es ist noch viel Forschung nötig. Die Hautzellen müssen zunächst in induzierte pluripotente Stammzellen (iPSC) verwandelt werden. Dieser Zelltyp kann sich in alle Gewebearten entwickeln, auch in Keimbahnzellen. Der erste Schritt dieses Prozesses – die Herstellung der iPS-Zellen – gelang dem Stammzellforscher Dr. Micha Drukker und seinem Team vom Helmholtz Zentrum München, die ebenfalls Teil des Konsortiums sind, bereits mit Fibroblasten der Nashornkuh Nabire. Dabei wandte das Team eine Methode an, die Diecke gemeinsam mit Professor Joseph Wu von der Stanford University entwickelt hat. Im Laufe dieses Projekts soll dieser Reprogrammierungsprozess optimiert und auf weitere Gewebeproben von anderen Nördlichen Breitmaulnashörnern angewendet werden. Nachfolgend müssen die Stammzellen nun in Ur-Keimzellen umgewandelt und zu Eizellen gereift werden. „Diese Arbeit liegt nun vor uns und ist für diese Tierart völliges Neuland“, erklärt Diecke. 

Die Maus als Prototyp 

Es gibt jedoch ein Vorbild: Dem Stammzellforscher Professor Katsuhiko Hayashi von der Kyushu-Universität in Japan ist die Transformation von Haut in Eizellen bei Mäusen geglückt. 2016 beschrieb er diesen Erfolg im Fachblatt „Nature“. Er konnte unter anderem aus der Haut der Schwanzspitze 3200 reife Eizellen erzeugen. Das Team um Hayashi sortierte jene mit normaler Chromosomenzahl aus und befruchtete diese künstlich. 316 Embryonen reiften heran, die sie Mäusen in die Gebärmutter einpflanzten. Elf Tiere kamen zur Welt. „Die Quote an Nachkommen ist geringer als bei konventioneller künstlicher Befruchtung. Sie würde aber für ausreichend Nachwuchs zum Aufbau einer Population sorgen“, sagt Diecke. Denn die mit dieser Methode gezeugten Mäuse waren gesund und fruchtbar. Die Tiere wuchsen normal heran und starben nicht vorzeitig.   

Doch ein Nashorn ist keine Maus und die Fortpflanzung ausgehend von Hautproben sehr anspruchsvoll. „Wenn man bedenkt, dass Hayashi dafür viele Jahre forschte, können wir stolz sein, wenn wir es alle gemeinsam in drei Jahren schaffen, Vorläufer von Ei- und Samenzellen des Nördlichen Breitmaulnashorns reifen zu lassen und diesen Prozess zu verstehen“, gibt Diecke zu bedenken. „Wenn wir sie danach bis zu funktionellen Eizellen reifen lassen können, wäre das natürlich die Krönung unserer Forschungsarbeit.“  

Die Herausforderung liegt darin, die einzelnen Zelltypen effektiv und möglichst vital zu erzeugen und jeweils auch ein Nährmedium zu finden, indem sie sich vermehren. Für die künstlich erzeugten Keimzellen der Maus braucht es beispielsweise Keimdrüsengewebe als Nachbarn – dieselbe Umgebung wie in den Eierstöcken der Tiere. „Wir müssen herausfinden, was wir für die Erzeugung der künstlichen Nashorn-Eizellen benötigen. Vielleicht auch Keimdrüsengewebe von Nashornkühen oder vielleicht genügt Gewebe vom relativ nahe verwandten Pferd“, skizziert Diecke eine der Herausforderungen. Außerdem versuche das Team in enger Zusammenarbeit mit Hayashi Keimdrüsengewebe direkt aus pluripotenten Stammzellen herzustellen.  

Masterplan für den Arterhalt  

„Wir sind alle hochmotiviert. Schließlich geht es um ein moralisch wichtiges und zugleich greifbares Ziel, nämlich die Erhaltung dieser Säugetiere“, sagt er. Alle Beteiligten sind sich der Verantwortung bewusst, dass der Mensch selbst mit der Zerstörung von Lebensräumen und Nahrungsgrundlagen, auch mit Wilderei jene Großsäugetiere ausgerottet hat. Deshalb hatten die über viele Länder verteilten Forscher und Forscherinnen schon vor der Finanzierung durch das BMBF mit den Vorarbeiten begonnen. Private Spenden ermöglichten dies. Das MDC unterstützt das Projekt zudem seit anderthalb Jahren über die Finanzierung einer Technischen Assistentin. 

Die Forschungskampagne zur Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns könnte Vorbildcharakter für andere bedrohte Tierarten haben: Gelingt die Fortpflanzung aus Haut könnten auf diese Weise vielleicht weitaus mehr bedrohte oder bereits verschwundene Arten wiederbelebt werden. Zwar kann dieser Forschungsansatz den konventionellen Artenschutz keinesfalls ersetzen. „Nur mit gemeinsame Anstrengungen auf beiden Gebieten wird es uns in Zukunft hoffentlich gelingen, das Aussterben von besonders bedrohten Tierarten zu verhindern“, gibt Diecke zu bedenken. „Mir persönlich wäre natürlich am liebsten, wenn es nie wieder so weit kommen muss, dass unser Ansatz angewendet wird.“

Text: Susanne Donner

Weiterführende Informationen 

Kontakt 

Jana Schlütter
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
Stellvertretende Leitung Kommunikationsabteilung 

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