Katja Simon

Pionierin der Zellverjüngung

Zellen erneuern sich fortlaufend, indem sie ungenutztes Zellmaterial „verdauen“. Der Mechanismus nennt sich Autophagie – das Spezialgebiet der Immunologin Katja Simon. Sie hat Wege gefunden, um damit die Alterung von Immunzellen zu verlangsamen.

Vielleicht ist es das Verspielte, das Katja Simon immer wieder auf neue Fährten bringt. Dieses begeisterte Suchen nach Mechanismen, die das Leben, Altern und Sterben von Zellen bestimmen. Wie jener der Autophagie, mit dem Zellen sich des Ballasts entledigen, den sie in ihrem Innern anhäufen, um ihn zu neuen Proteinen, Fetten oder Nukleinsäuren zu recyceln – und sich damit zu verjüngen. Es ist ein Mechanismus, der einen Menschheitstraum birgt: In den Spiegel zu schauen und die Spuren des Alters schwinden zu sehen.

Autophagie ist ein ganz zentraler Prozess der Alterung.
Katja Simon
Katja Simon Leiterin der AG „Zellbiologie der Immunität“

Die verjüngende „Selbstverdauung“ geschieht in fast jeder Zelle, in der Nervenzelle wie der Immunzelle, in der Pflanze wie im Menschen: Es bildet sich eine Doppelmembran, die das überflüssige Material einkapselt und mit einem Lysosom, dem bläschenförmigen „Verdauungsapparat“ der Zelle, verschmilzt. „Dort bauen verschiedene Enzyme den Zellmüll zu z.B. Aminosäuren ab, die dann für die Zellerneuerung zur Verfügung stehen“, sagt Katja Simon. Die Pionierin auf dem Gebiet zellulärer Recyclingprozesse ist im April 2022 von der Universität Oxford ans Max Delbrück Center gekommen, um hier die Arbeitsgruppe „Zellbiologie der Immunität“ zu leiten. „Wenn Autophagie ausbleibt, altern Zellen schnell, weil sie kranke Mitochondrien und andere störende Organellen anhäufen.“

Bereits 2012 bewies die Immunologin, dass die Autophagie bei älteren Menschen schwächelt – und die Zellen immer mehr Schrott ansammeln, der Probleme verursacht: Muskeln bilden sich zurück, Haare fallen aus, die Haut verändert sich. „Wir sehen dann typische Alterserscheinungen: Neurodegeneration, Herz-Kreislauf-Probleme oder Alters-Diabetes“, sagt Simon. „Autophagie ist ein ganz zentraler Prozess der Alterung.“

„Selbstverdauung“ schützt das Immunsystem vor dem Altern

Es ist Katja Simons Leidenschaft, Experimente zu entwerfen, um zu verstehen, wie Autophagie in unterschiedlichen Zelltypen abläuft, was genau sie verursacht, und wie man mit diesem Wissen Krankheiten heilen oder Alterungsprozesse verlangsamen kann. „Es macht mir viel Spaß, die Logik hinter molekularen Abläufen zu verstehen“, sagt Simon. „Und bei unerwarteten Ergebnissen zu fragen: Wie kann man das nun wieder erklären?“

So konnte sie zum Beispiel zeigen, dass das Immunsystem altert, wenn die Autophagie nachlässt. Die Makrophagen, die etwa Bakterien abwehren, funktionieren nicht mehr so gut, die Gedächtniszellen der erworbenen Immunität gehen zurück, Impfungen wirken schlechter. Es gibt mehr Entzündungsmoleküle im Blut, was wiederum die Immunantwort gegenüber Infektionen oder Tumoren schwächt, sowie Arthrose und andere Erkrankungen verursachen kann. „Wenn wir in Immunzellen die Autophagie-Gene ausschalten, dann sieht das Immunsystem einer zwei Monate alten Maus so aus wie bei einer 18 Monate alten Maus, kurz bevor sie stirbt“, sagt Simon. „Schlimm, oder?“

Um den Beweis anzutreten, dass das auf Autophagie zurückzuführen ist, gab sie 2015 gealterten Mäusen mit geschwächtem Immunsystem einen Stoff, der Autophagie fördern soll: Spermidin, ein Stoffwechselprodukt, das etwa in fermentiertem Soja und reifem Käse enthalten ist. Tatsächlich schnellte dank des Spermidins die Zahl der T-Zellen nach einer Grippeimpfung in die Höhe – und blieb nach 50 Tagen fast doppelt so hoch wie bei jungen Mäusen. „Solche beindruckenden Experimente hat man selten“, sagt Simon. „Das hat gezeigt, dass Autophagie das Immunsystem vor dem Altern schützt.“

Ein Jungbrunnen für das Immunsystem?

Spermidin, das wir mit der Nahrung aufnehmen, ist bei Menschen bis zum Alter von etwa 65 Jahren meist ausreichend vorhanden. Danach nimmt die Konzentration ab. Für eine klinische Studie hat Simons Team in Oxford alten Menschen deshalb nach einer COVID-Impfung 13 Wochen lang Spermidin gegeben. „Sie hatten eine wesentlich bessere Impfantwort und haben ihre Gedächtniszellen länger behalten als diejenigen, die kein Spermidin bekamen“, sagt Simon. Die Erkenntnisse sollen nun dazu beitragen, die Grippe-Impfung im Alter wirksamer zu machen. Simon hofft, dass die Wirkung des Spermidin sie zu neuen Zielmolekülen für Medikamente führen wird, die noch effektiver und genauer wirken. „Das wäre für das Immunsystem und viele andere Gewebe wahrscheinlich eine Verjüngungstherapie.“

Doch jeder Mensch kann seine Zellen auch selbst verjüngen: Bewegung, Fasten, Intervallfasten und dauerhafte Kalorienreduktion kurbeln die Autophagie nachweislich an. „Man gibt dem System damit einen Anstoß, das alte Material zu recyceln“, sagt die 57-Jährige. „Ich selbst esse viel weniger, seit ich dazu forsche.“

Ohne Autophagie können sich Stammzellen nicht spezialisieren

Katja Simon geht es bei der Autophagie nicht nur um den unmittelbaren klinischen Nutzen. So wies sie zum Beispiel 2011 nach, dass hämatopoetische Stammzellen, aus denen unter anderem die roten und weißen Blutkörperchen entstehen, sich ohne Autophagie nicht ausdifferenzieren und sterben. „Nach unserer Arbeit wurde dies auch für Stammzellen anderer Gewebe festgestellt“, sagt Simon. „Das ist eine wichtige Grundlage für regenerative Therapieansätze, bei denen aus Stammzellen neues Gewebe gewonnen wird oder für Knochenmarkstransplantationen gegen Leukämie.“

Ein niedriges Autophagie-Level könnte ein Grund für bis heute unerklärbare Fälle von Blutarmut sein.
Katja Simon
Katja Simon Leiterin der AG „Zellbiologie der Immunität“

Schon 2010 hatte sie beobachtet, dass Mäuse, denen das Gen für Autophagie in hämatopoetischen Stammzellen fehlt, an Blutarmut sterben. Denn rote Blutkörperchen müssen ihre Mitochondrien und andere Organellen in ihrem Innern „verdauen“, um in kleinste Kapillare im Körper vordringen und Sauerstoff transportieren zu können. Bauen sie die Organellen nicht ab, vergiften sie sich und gehen zugrunde. „Ein niedriges Autophagie-Level könnte ein Grund für bis heute unerklärbare Fälle von Blutarmut sein“, sagt Simon. Spermidin ist auch hier ein Hoffnungsträger.

Das erste Paper, das sie am Max Delbrück Center mitveröffentlicht hat, zeigt, dass Autophagie nicht nur Ballast in der Zelle verdaut, sondern auch wertvolle Moleküle an andere Zellen weitergeben kann. „Sie stößt im Fettgewebe Signallipide aus, die anti-entzündlich wirken und eine entzündliche Darmerkrankung verhindern können.“ Das verpönte Fett – in Verbindung mit Autophagie und an der richtigen Stelle hat es gute Seiten.

Drei Kinder, zwei Postdocs und ein Zufall

Dass Katja Simon 2022 aus Oxford ans Max Delbrück Center gekommen ist, wo sie ein „Helmholtz Distinguished Professorship“ antrat, war für sie eine Rückkehr. Bereits vor der Wende hatte sie an der Freien Universität Berlin Biologie studiert, ging dann aber für ihre Diplomarbeit ans University College London. Dort traf sie den 2022 verstorbenen Immunologen Av Mitchison, der sie in seinem großen Haus in Camden aufnahm. „Av war ein fantastischer Mensch. Er hat mir bis vor ein paar Jahren Ratschläge gegeben, was ich als nächstes machen sollte.“

Als Mitchison Gründungsdirektor des Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) wurde, ging Katja Simon mit und schrieb bei ihm ihre Doktorarbeit. Das Thema: T-Zellen, die rheumatoide Arthritis auslösen. Bald darauf folgte eine Station in Marseille, mit ihrem Mann, dem britischen Immunologen Quentin Sattenau. In Frankreich forschte sie als Postdoc zu Grundfragen der Immunologie: Wie T-Zellen zwischen fremd und eigen unterscheiden und warum der Körper sich bei Autoimmunerkrankungen selbst attackiert.

Sie bekam zwei Kinder, ging nach vier Jahren an die Universität Oxford und begann 1999 am Weatherall Institute of Molecular Medicine (WIMM) einen zweiten Postdoc in der Tumorimmunologie. Sie schleuste ein Molekül namens FasLigand in Hautturmozellen ein, damit sich im Körper Antikörper gegen den Tumor bilden. Doch sie traute dem Ansatz nicht und verfolgte ihn klinisch nicht weiter. Stattdessen setzte sie ihre erste Doktorandin auf Autophagie an. Zufällig hatte sie bei einem Vortrag von dem Mechanismus gehört. Er faszinierte sie sofort – und das bis heute.

Nach fünf Jahren kam das dritte Kind. „Danach war es nicht einfach weiterzukommen. Ich habe viel publiziert, aber mit Lücken. Und ich hatte erst spät Gelegenheit zu zeigen, dass ich eine Arbeitsgruppe leiten kann“, sagt Simon. Ihre Experimente führte sie lange selbst durch, 2008 wurde sie Gruppenleiterin im WIMM und dann im Kennedy Institute of Rheumatology in Oxford. Heute, als etablierte Professorin, macht sie sich für Frauen stark. „Mehr Frauen würden der Wissenschaft guttun“, sagt Simon. „Es würde mehr Teamarbeit in der Forschung geben anstatt Fortschritt nur durch Wettbewerb zu fördern.“

Gute Daten – damit die Menschen gesund bleiben

Am Max Delbrück Center will Katja Simon neue klinische Studien starten und ihren Blick auf Autophagie in Immunzellen richten, die Entzündung in Geweben wie Herz oder Hirn hervorrufen. „In Oxford war ich an einem komplett immunologisch orientierten Institut, was fantastisch war, aber ich merke, dass sich in Berlin mein Horizont öffnet.“

So kooperiert sie mit Dominik Müller, Friedemann Paul und Anja Mähler am Experimental and Clinical Research Center (ECRC). Sie will verstehen, wie gesunde alte Menschen auf Zellebene vom Fasten profitieren können und wie Nahrungsergänzungsmittel wie Spermidin genau wirken. Denn obwohl man sie kaufen kann, sind viele klinisch kaum untersucht. „Wir wollen jetzt richtig gute Daten erarbeiten, damit die Leute besser einschätzen können, ob Fasten, vegane Ernährung oder die Einnahme von Spermidin das Richtige für sie ist“, sagt Simon. „Öffentlich finanzierte Forschung sollte schließlich herausfinden, wie wir unseren Lebensstil ändern können, um gesund zu bleiben.“

Text: Mirco Lomoth

 

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