Yoichiro Sugimoto

Wie Zellen ihre Umwelt wahrnehmen

Seit Juli 2022 leitet Yoichiro Sugimoto das MDC-Labor „Molecular mechanisms of environment sensing“. Sein Team untersucht, wie Zellen auf Veränderungen des Sauerstoffgehalts in ihrer Umgebung reagieren und welche Rolle Störungen in diesem System bei bestimmten Krankheiten spielen.
Zellen müssen erkennen können, ob die Moleküle vorhanden sind, die sie zum Überleben brauchen – wie Sauerstoff und Nährstoffe.
 Yoichiro Sugimoto
Yoichiro Sugimoto Leiter der AG "Molekulare Mechanismen der Umgebungswahrnehmung"

Die Wahrnehmung der Außenwelt ist lebensnotwendig, auch für Zellen. „Sie müssen zum Beispiel erkennen können, ob die Moleküle vorhanden sind, die sie zum Überleben brauchen – wie Sauerstoff und Nährstoffe“, erklärt Dr. Yoichiro Sugimoto, der seit Juli 2022 die neue Arbeitsgruppe „Molekulare Mechanismen der Umgebungswahrnehmung“ am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) aufbaut. „Auf diese Weise passt sich der menschliche Körper an wechselnde Umweltbedingungen an“, sagt der Biowissenschaftler, der in der Nähe von Tokio aufgewachsen ist. Sein Labor ist Teil des Berlin Center for Translational Vascular Biomedicine (VasBioBerlin) – ein wissenschaftlichen Netzwerk von Forschenden des Berliner Instituts für Gesundheit der Charité (BIH), der Charité - Universitätsmedizin Berlin und des MDC. In Berlin will er die noch weitgehend unverstandenen molekularen Grundlagen der Sauerstoffsensorik der Zellen erforschen. 

© Felix Petermann, MDC

Ähnlich einem Motor, der Treibstoff verbrennt, produzieren Zellen Energie, indem sie Nährstoffe verbrennen. Sauerstoff ist bei diesem Prozess von entscheidender Bedeutung, und ein niedriger Sauerstoffgehalt – ein Zustand, der als Hypoxie bezeichnet wird  – kann zu dauerhaften Gewebeschäden führen. „Wenn der Sauerstoffgehalt sinkt, müssen die Zellen dies erkennen und reagieren“, sagt Sugimoto. Innerhalb weniger Minuten passen sie ihren Energieverbrauch an – etwa,  indem sie weniger Proteine herstellen. Außerdem kann der so genannte Hypoxie-induzierte Faktor (HIF) bestimmte Gene aktivieren, was langfristig unter anderem dazu führt, dass die Zelle das Hormon EPO produziert. HIF bezeichnet eine Gruppe von Proteinen, die nur unter sauerstoffarmen Bedingungen überleben. EPO wiederum sorgt dafür, dass mehr rote Blutkörperchen gebildet werden, was dem Sauerstoffmangel entgegenwirkt. 

Im Labor eines Nobelpreisträgers 

Für ihre Entdeckungen, wie Zellen mithilfe des HIF-Systems die Sauerstoffverfügbarkeit erkennen und sich daran anpassen, erhielten im Jahr 2019 drei Wissenschaftler den Nobelpreis, darunter Professor Sir Peter J. Ratcliffe vom Francis Crick Institute und der University of Oxford. Sugimoto arbeitete zu dieser Zeit als Postdoktorand in Ratcliffes Labor. Dort erforschte er hauptsächlich, wie Zellen entsprechend dem Sauerstoffgehalt die Proteinsynthese regulieren.

Proteine werden in einem Prozess hergestellt, der Translation genannt wird: Die RNA der Zellen übersetzt die von der DNA abgelesene genetische Information in einen Aminosäure-Bauplan für jedes Protein. Zuvor wird während der so genannten Transkription diejenige DNA in RNA kopiert, die die für die Proteinsynthese benötigten Informationen trägt. „Es wurde angenommen, dass HIF sowohl die Transkription als auch die Translation beeinflusst“, sagt Sugimoto. 

Wir wollen vor allem untersuchen, wie der Sauerstoffgehalt all diese RNA-vermittelten Prozesse beeinflusst.
 Yoichiro Sugimoto
Yoichiro Sugimoto Leiter der AG "Molekulare Mechanismen der Umgebungswahrnehmung"

Eine überraschende Erkenntnis seiner Arbeit in England war jedoch, dass HIF nur einen sehr begrenzten Einfluss auf die Translation hat. Daher will der Wissenschaftler nun nach weiteren sauerstoffsensitiven Mechanismen suchen, die während dieses Prozesses beteiligt sind. „RNA steht ständig in Wechselwirkung mit anderen Molekülen“, erklärt Sugimoto. Diese Interaktion beeinflusst nicht nur, wie viel von einem bestimmten Protein produziert wird, sondern auch andere zelluläre Funktionen. „Wir wollen vor allem untersuchen, wie der Sauerstoffgehalt all diese RNA-vermittelten Prozesse beeinflusst“, fasst Sugimoto zusammen. 

Schon während seiner Doktorarbeit im englischen Cambridge hat Sugimoto eine Hochdurchsatz-Methode entwickelt, um Interaktionen zwischen RNA-Abschnitten in der lebenden Zelle zu finden. Dabei erkannte der Biowissenschaftler, wie wichtig unterschiedliche computergestützte Techniken sind, um große Datensätze analysieren und interpretieren zu können. Nach seiner Promotion arbeitete er zwei Jahre lang als Unternehmensberater, um seine Expertise im Bereich der Datenwissenschaft weiter auszubauen. 

Zurück in die Wissenschaft 

Doch die fundamentalen Fragen der Biologie ließen ihn nicht los. In Ratcliffes Team habe er gelernt, dass man sich nicht nur auf bestehende Techniken verlassen kann, um anspruchsvolle Forschungsfragen zu beantworten. Diese Lektion will er auch in Zukunft beherzigen: „Wir wollen innovative Hochdurchsatztechnologien entwickeln, mit denen sich das Zusammenspiel und der regulatorische Status von biologischen Schlüsselmolekülen wie RNA und Proteinen umfassend messen lassen“, sagt er. Die großen und komplexen Datensätze sollen dann mit datenwissenschaftlichen Methoden analysiert und ausgewertet werden. 

Die daraus gewonnenen Erkenntnisse, so hofft er, könnten in Zukunft auch klinische Anwendung hervorbringen. „Da Tumorzellen in der Regel sehr schnell wachsen, bekommen sie oft nicht ausreichend Sauerstoff“, erklärt er. Um dem entgegenzuwirken, greift der Krebs in die Sauerstoffsensorik der Zellen ein. Selbst bei einigen Virusinfektionen und neurodegenerativen Krankheiten ist diese Sauerstoffsensorik gestört. Vielleicht, so die Idee, könnten Medikamente dazu beitragen, dieses System wieder ins Gleichgewicht zu bringen. 

Das Forschungsumfeld und die Infrastrukturen am MDC würden es ihm erlauben, solche grundlegenden Fragen der Biologie über die Grenzen der Disziplinen hinweg anzugehen, sagt Sugimoto. Er erinnert sich, dass er bereits während des Bewerbungsprozesses für seine Stelle am MDC von Wissenschaftlern mit unterschiedlichem Hintergrund sehr hilfreiche Anregungen bekommen hat, wie er seine Ideen vorantreiben könnte. Neben der spannenden Arbeit, die auf ihn wartet, freut er sich aber auch darauf, mit seiner Familie die Kultur und Natur Berlins zu erkunden.

Text: Janosch Deeg 

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