Daria Bunina

Zellen auf Abwegen

Seit Juli 2022 leitet Daria Bunina eine neue Arbeitsgruppe am MDC. Ihr Team erforscht, wie epigenetische Faktoren die Differenzierung von Zellen beeinflussen. Kommt es dabei zu Fehlern, kann dies zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder neurologischen Entwicklungsstörungen führen.
Nur mit Hilfe der Differenzierung kann unser Körper unterschiedliche Gewebe und Organe entwickeln.
Daria Bunina
Daria Bunina Leiterin der AG "Systembiologie von kardiovaskulären und neuronalen Pathologien"

Eine Spezialisierung, etwa im Job, bündelt Kräfte und Kompetenzen. Ähnlich ist es auch bei den Zellen in unserem Körper: Ursprünglich gleiche Exemplare spezialisieren sich, um eine bestimmte Funktion zuverlässig zu erfüllen – ein Prozess, den Biolog*innen wie Dr. Daria Bunina Differenzierung nennen. Fortan ist die Zell-Identität festgelegt: Immunzelle, Leberzelle, rotes Blutkörperchen und so weiter. „Nur mit Hilfe der Differenzierung kann unser Körper unterschiedliche Gewebe und Organe entwickeln“, erklärt Bunina. Die 32-jährige Russin kam vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg ans Berlin Center for Translational Vascular Biomedicine (VasBioBerlin) – einem wissenschaftlichen Netzwerk von Forschenden des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Am MDC baut sie die Arbeitsgruppe „Systembiologie von kardiovaskulären und neuronalen Pathologien“ auf und untersucht, wie Fehler in der Differenzierung Krankheiten verursachen.

Dreh- und Angelpunkt für die Differenzierung ist die DNA mit ihren 23.000 Genen. Sie ist im Prinzip in allen Körperzellen identisch. Damit daraus unterschiedliche Zelltypen entstehen, müssen die richtigen Gene zum richtigen Zeitpunkt aktiviert werden. Dafür gibt es im Genom zwischen 50.000 bis 100.000 Genschalter; allerdings sind diese nicht permanent erreichbar. Das liegt daran, dass das Erbgutmolekül gefaltet und um Proteine namens Histone gewickelt ist. Nur so passt der zwei Meter lange DNA-Strang in den Zellkern, der im Schnitt einen Durchmesser von lediglich rund 0,01 Millimetern hat.

© Felix Petermann, MDC

Genschalter zugänglich machen

„Die Histone bilden zusammen mit der DNA die physiologische Form unseres Genoms – das Chromatin“, sagt Bunina. Diese Proteine können die dreidimensionale Struktur des Chromatins derart verändern, dass gewisse Schalter zugänglich und andere blockiert sind. So werden gezielt einzelne Gene im Erbgut aktiviert oder stummgeschaltet. „Mit dieser epigenetischen Regulierung lässt sich die Differenzierung einschließlich der unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Zellen steuern“, erklärt Bunina, deren eigene berufliche Spezialisierung vor 15 Jahren mit einem Biochemiestudium in Moskau begann. Bereits als Kind habe sie Chemie gemocht, aber das Fach war ihr noch „etwas zu weit weg vom Leben“, erzählt sie – daher die Kombination mit Biologie. In ihrer Promotion am Zentrum für Molekulare Biologie (ZMBH) in Heidelberg wandte sich die Biochemikerin dann schließlich der Genregulation zu – ihre Spezialisierung wurde konkret.

Die Histone bilden zusammen mit der DNA die physiologische Form unseres Genoms – das Chromatin.
Daria Bunina
Daria Bunina Leiterin der AG "Systembiologie von kardiovaskulären und neuronalen Pathologien"

Am MDC will Bunina nun die molekularen Grundlagen der epigenetischen Regulierung erforschen. Besonders interessiert sie die Frage, wie Fehler in diesem Prozess zu Herz-Kreislauferkrankungen und neurologischen Entwicklungsstörungen führen können. Bei der Suche nach Antworten wird ihr Team verschiedene Einzel- und Massenanalysetechniken von Zellen anwenden, um zu erfahren, wie das menschliche Genom reguliert wird. Die umfangreichen Daten werden mit neuartigen computergestützten Methoden analysiert, um etwa regulatorische Gennetzwerke zu entschlüsseln und molekulare Pfade zu identifizieren, die bei bestimmten Krankheiten gestört sind. Hier profitiert die Forscherin von ihrem umfangreichen Wissen in Bioinformatik, das sie während ihrer sechsjährigen Post-Doc-Zeit am EMBL in Heidelberg erworben hat. „Die Daten aus meiner Doktorarbeit mussten noch andere für mich analysieren“, sagt sie. Das war kein zufriedenstellender Zustand für die ambitionierte Forscherin und Motivation genug, sich im Anschluss an ihre Promotion selbst mit datenwissenschaftlichen Techniken vertraut zu machen.

Diagnosen und Therapien entwickeln

Die Erkenntnisse möchte das Team außerdem in einem Modellsystem aus menschlichen Stammzellen in Laborversuchen überprüfen. Denn die Idee hinter der Forschung sei, in Zukunft klinische Anwendungen zu entwickeln, sagt Bunina. Das könnten genetische Biomarker sein, die für Diagnosen eingesetzt werden oder auch Medikamente, die verhindern, dass die Differenzierung fehlschlägt und die Zellen auf Abwege geraten.

Die enge Zusammenarbeit mit Kliniker*innen und die zahlreichen Kooperationsmöglichkeiten waren neben der technischen Ausstattung des MDCs die ausschlaggebenden Gründe für Bunina nach Berlin zu kommen. Natürlich freue sie sich auch darauf, die Hauptstadt in ihrer Freizeit zu erkunden. Nach elf Jahren im eher beschaulichen Heidelberg vermisse sie die Großstadt: Kultur, Musik, Kulinarik. Eine Wohnung hätten sie und ihr Partner nach intensiver Suche endlich gefunden, wie sie freudig erzählt. Nun kann sie sich voll und ganz darauf konzentrieren, ihr erstes eigenes Labor einzurichten. Denn sie kann es kaum erwarten, die ersten Experimente zu starten.

Text: Janosch Deeg

 

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