Biobank

Die Schwelle zur Krankheit verstehen

Mit dem Projekt IMMEDIATE will ein Team um den ECRC-Forscher Friedemann Paul die entzündlichen Vorboten von Krankheiten ergründen und herausfinden, wie die Ernährung und das Darmmikrobiom gemeinsam das Immunsystem beeinflussen. Die EU fördert das Vorhaben mit mehr als sieben Millionen Euro.

Am Anfang vieler organischen Krankheiten steht eine chronische Entzündung. Was bei diesem Übergang von gesund zu krank auf molekularer Ebene im Körper passiert, ist jedoch weitgehend unbekannt. Mit einem Projekt namens IMMEDIATE will ein europäisches Team das im Verborgenen ablaufende Geschehen nun näher beleuchten und herausfinden, inwieweit es sich durch die Ernährung und das Mikrobiom des Darms so verändern lässt, dass Erkrankungen gar nicht erst entstehen. 

Die Bezeichnung IMMEDIATE steht für „Imminent Disease Prediction and Prevention at the Environment Host Interface“, übersetzt „Unmittelbare Krankheitsvorhersage und -prävention an der Schnittstelle zwischen Umwelt und Wirt“. Koordiniert wird das Projekt, an dem insgesamt zwölf europäische Einrichtungen beteiligt sind, von Professor Friedemann Paul, Direktor des Experimental and Clinical Research Center (ECRC) von Max Delbrück Center und Charité – Universitätsmedizin Berlin und Professor am NeuroCure Clinical Research Center an der Charité. 

Das Projekt soll im EU-Förderprogramm „Horizon Europe“ für die kommenden vier Jahre mit knapp 7,2 Millionen Euro finanziert werden. An die Charité fließen davon gut 1,6 Millionen Euro, an das Max Delbrück Center gehen rund 1 Million Euro. Auch das European Research and Project Office (Eurice) ist an der Planung und Umsetzung des Großprojekts wesentlich beteiligt. 

Auf der Suche nach Biomarkern 

Wir möchten zunächst die entzündlichen Prozesse, die der Fehlfunktion oder Schädigung eines Organs vorausgehen, besser verstehen.
Friedemann Paul
Friedemann Paul Direktor des Experimental and Clinical Research Center (ECRC)

„Wir möchten zunächst die entzündlichen Prozesse, die der Fehlfunktion oder Schädigung eines Organs vorausgehen, besser verstehen. Außerdem wollen wir Biomarker identifizieren, die wir nachweisen können, noch ehe es zu Krankheitssymptomen kommt“, erläutert Paul. Zu diesem Zweck werden die Forschenden unter anderem modernste Omics-Technologien anwenden und klinische Daten sowie Bioproben aus drei laufenden Beobachtungsstudien nutzen. „Dabei handelt es sich um die deutsche NAKO Gesundheitsstudie, um die KTx360°-Kohorte von Patientinnen und Patienten, denen eine Niere transplantiert wurde und um eine spezifische israelische Kohorte“, ergänzt die Privatdozentin Dr. Chotima Böttcher vom ECRC, die IMMEDIATE mitkoordiniert. 

An diesem Teil des Projekts wirkt die Arbeitsgruppe „Molekulare Epidemiologie“ am Max Delbrück Center von Professor Tobias Pischon maßgeblich mit. „Wir werden mit einem Proteom-Ansatz eine Vielzahl von Entzündungsmarkern messen“, sagt Pischon. „Da wir vor allem an Krankheitsvorstufen interessiert sind, möchten wir Signaturen identifizieren, die mit Änderungen der Herz-Kreislauf- und Nierenfunktionen sowie des Stoffwechsels assoziiert sind.“ Anschließend will sein Team überprüfen, inwieweit sich diese Signaturen bei verschiedenen Erkrankungen ähneln oder voneinander unterscheiden. 

Ein Darmkeim soll Entzündungen lindern 

Parallel dazu sind weitere Schritte geplant. „Das Projekt als Ganzes zielt darauf ab zu verstehen, wie und warum Interventionen wie eine bestimmte Ernährung oder die Gabe spezieller Mikrobiotika die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verändern – und wie die Stoffwechselprodukte der Mikroben das Immunsystem beeinflussen“, sagt Dr. Sofia Forslund. Die Forscherin leitet am Max Delbrück Center und ECRC die Arbeitsgruppe „Wirt-Mikrobiom Faktoren in Herz-Kreislauferkrankungen“. 

Mit diesem Wissen wolle man Krankheiten verhindern und die Gesundheit fördern, erklärt Forslund. Ihr Team wird vor allem die erforderlichen Infrastrukturen und Analysemethoden entwickeln, um die riesigen Mengen an Daten, die mit den Omics-Technologien generiert werden, zu sammeln und mithilfe künstlicher Intelligenz auszuwerten. Neben den Teams von Pischon und Forslund beteiligen sich auf dem Campus in Berlin-Buch die Arbeitsgruppen „Proteomics“ von Dr. Philipp Mertins, „Metabolomik“ von Dr. Jennifer Kirwan, „Immun-mikrobielle Dynamiken bei kardiorenalen Erkrankungen“ von Dr. Nicola Wilck und die Clinical Research Unit von Dr. Anja Mähler an dem Projekt. 

Auch eigene Interventionsstudien plant das IMMEDIATE-Konsortium – etwa eine Untersuchung mit rund 200 Teilnehmer*innen, die im Krankenhaus arbeiten. „Da unsere Probandinnen und Probanden aufgrund ihres Jobs häufig viel Stress haben sowie meist unregelmäßig und eher ungesund essen, gehen wir davon aus, dass ihre Entzündungswerte erhöht sind“, berichtet Chotima Böttcher. Die Forschenden wollen unter anderem herausfinden, ob sich durch die Gabe der entzündungshemmenden Mikrobe Akkermansia muciniphila sowohl die Biomarker als auch das Wohlbefinden der Proband*innen zum Positiven verändern lassen. 

Mobile Apps zur Unterstützung 

Helfen sollen dabei mobile Apps, die das IMMEDIATE-Team in Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen entwickelt hat. „Die Probandinnen und Probanden können dort zum Beispiel eintragen, wie stressig ihr Tag gewesen ist und wann und was sie gegessen haben“, erläutert Böttcher. Gleichzeitig liefern die Apps Feedback und Anleitungen, um erprobte gesundheitsfördernde Maßnahmen leichter ins eigene Leben zu integrieren – auf dass ihre Nutzer*innen bereits vor der Schwelle zur Krankheit stehenbleiben und umkehren.  

Text: Anke Brodmerkel 

IMMEDIATE wird am 1. Januar 2023 starten und hat eine Laufzeit von vier Jahren.
Grant Agreement No.: 101095540. 

 

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