Menschen, Mäuse, Molekularküchlein

Am 11. Juni 2016 fand die Lange Nacht der Wissenschaften auf dem Campus Buch statt, ein herrlich sonniger Tag, den 7730 kleine und große Forschungsinteressierte nutzten, um sich durch die MDC-Labore führen zu lassen – oder ein Molekularküchlein aus Eiweiß und Zucker zu kosten.
Hier ist die Maus zu Haus. Bild: Anyess von Bock/MDC.

Im Hermann-von-Helmholtz-Haus, dicht vor dem Durchgang zum Kongressgebäude des MDC, wird eifrig gearbeitet. Mehrere angehende Tierpflegefachkräfte, gut erkennbar an den grünen Kitteln, Haarnetzen und Laborhandschuhen, sind damit beschäftigt, Mäuse umzusetzen. Dabei werden sie angeleitet von Karin Jacobi, Leiterin des Bereichs Tierhaltung am MDC. „Die Mäuse in unserer Versuchstierhaltung müssen einmal in der Woche umgesetzt werden, damit wir die Käfige reinigen können“, erklärt sie ihren aufmerksam lauschenden Elevinnen und Eleven. Das sind natürlich keine echten Azubis, sondern Mädchen und Jungen, die im MDC zu Besuch sind, um mehr über Forschung zu erfahren – zum Beispiel darüber, wie Mäuse in den Tierhäusern des MDC gehalten und gepflegt werden, und dass sie als Versuchstiere in der biomedizinischen Forschung genutzt werden.

An Aktionsständen selbst Hand anlegen

Als erstes werden die einzelnen Käfige vorsichtig aus dem an die Belüftungsstation angeschlossenen Regal genommen und zur Umsetzwerkbank getragen, die ein paar Meter weiter steht. Erst tauscht jede Nachwuchspflegekraft die Wasserflasche aus, die vom alten in den neuen Käfig wandert, dann folgen Futter, Häuschen und Spielmaterial, als letztes die Mäuse. Die sind natürlich nicht echt, sondern aus weißem oder rosafarbenen Zuckergummi. Trotzdem versäumt es Karin Jacobi nicht, die Kinder zu besonderer Vorsicht zu ermahnen: „Nicht fallenlassen, dann sind die Mäuse ganz verwirrt, und das wäre sehr schlecht, denn das könnte unsere Forschungsergebnisse verfälschen!“

 

Für einen Moment ein Drache sein! Bild: Anyess von Bock/MDC.

Der Aktionsstand „Wo ist die Maus zu Haus?“ ist eine von mehreren „Forschungsstationen“ im MDC-Hauptgebäude, die „Wissenschaft zum Anfassen“ bieten. Hier können sich insbesondere die jüngeren Gäste der Langen Nacht austoben, denn überall ist Ausprobieren und Mitmachen gefragt, zum Beispiel am Stand von Wissenschaftsautor und Comiczeichner Russ Hodge, bei dem bunte Zellen im XXL-Format gemalt werden, oder in der „Molekularküche“, wo zwei Forscherinnen mundgerechte Eischaum-Portionen in flüssigen Stickstoff halten und anschließend feilbieten – wer dann mutig hineinbeißt, kann sich für einen Moment wie ein Drachen fühlen, denn aus Mund und Nase treten dicke „Rauchwolken“ aus.

Wissenschaftler führen durch ihre Labore

Mehr über die konkrete Forschungsarbeit des MDC erfährt, wer an einer der zahlreichen Laborführungen teilnimmt, die über den ganzen Nachmittag und Abend hinweg angeboten werden. Neu dabei sind in diesem Jahr die Arbeitsgruppen von Gary Lewin und Marina Chekulaeva. Bei der AG Lewin geht es um Sinneswahrnehmungen: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Führung „Berührung und Schmerz“ erfahren, wie Sinnesreize vom Körper verarbeitet werden. Zur Veranschaulichung zeigt Gary Lewin zunächst anhand einer mikroskopischen Aufnahme der Haut einer Maus-Hinterpfote, wo die Tastrezeptoren sitzen: direkt an den Haarwurzeln. „Dabei wird unser Tastsinn durch Gene codiert. Welche genau das sind, und wie es dazu kommt, dass Schmerz- und Tastsinn von Mensch zu Mensch so unterschiedlich sind, wollen wir mit unserer Forschung herausfinden“, berichtet der AG-Leiter.

Krebsforscher Michael Hinz gibt eine Labortour. Bild: Anyess von Bock/MDC.

An Neuronen in einer Zellkultur, die mit Capsaicin stimuliert werden, machen MDC-Wissenschaftlerin Christiane Wetzel und ihr Kollege Mirko Moroni die elektrischen Impulse sichtbar, über welche die Reizübermittlung abläuft. Capsaicin – die Schärfe aus Chilischoten – ist scharf, vermittelt aber gleichzeitig ein Gefühl von Wärme – „weil das Alkaloid an wärmeempfindende Rezeptoren bindet“, erklärt Christiane Wetzel. Anschließend geht es an die Testgeräte, die auch zur Untersuchung „echter“ Probanden eingesetzt werden. Eines davon misst, wie schnell eine Person spürt, dass die Temperatur eines an ihrer Haut anliegenden Gegenstandes an- oder absteigt. Bei allen Teilnehmenden der Führung ergibt sich dasselbe Bild: Wird es wärmer, spürt man dies bei etwa einem Grad Temperatur mehr, bei zunehmender Abkühlung reicht bereits ein halbes Grad. „Das liegt daran, dass das Kälteempfinden für uns existenzieller ist, denn wir kühlen schneller aus, als dass wir überhitzen, und deswegen sendet der Körper entsprechend schnell seine Signale“, erklärt Doktorand Johannes Kühnemund.

Auch englische Führungen werden angeboten

Labortechniken für Fortgeschrittene : Proben in ein SDS-PAGE-Gel laden. Bild: Anyess von Bock/MDC.

Bei der englischsprachigen Führung im Labor der Arbeitsgruppe von Marina Chekulaeva dreht sich alles um „New Players in the Genome“: Wissenschaftler David van den Bruck stellt zunächst das Untersuchungsobjekt, die RNA, sowie Methoden und Geräte vor, mit denen im Labor gearbeitet wird. Zur Enttäuschung einiger Teilnehmenden der Führung können die Sequenziergeräte nicht besichtigt werden – zu empfindlich und teuer. Dafür sind im Mikroskop echte, lebende Stammzellen zu sehen. Aus ihnen können per Differenzierung andere Zelltypen gezüchtet werden, das dauert allerdings mehrere Wochen, wie Studentin Marta Mauri erklärt. Stammzellen – dieses Thema fordert natürlich viele Fragen heraus. Ob man daraus gesunde Zellen züchten und einem kranken Menschen einpflanzen könne, will eine Besucherin wissen; ein Besucher fragt, ob sich per Sequenzierung herausfinden lässt, welche Gene für die Haarfarbe zuständig sind, und ob man sie dann modifizieren kann. Leider nein, erklären Marta Mauri und ihre Kollegin Katja Glinsek: Ihre Arbeit sei nur der erste Schritt in einer Reihe vieler weiterer Schritte, die notwendig sind, damit wissenschaftliche Erkenntnisse auch in der Alltagsmedizin ankommen. Zur Aufmunterung hat das Chekulaeva-Team ein kleines Mitmach-Experiment parat: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dürfen Pipettieren üben und lernen, dass es äußerst schwierig ist, flüssige Proben per feiner Pipette in die schmalen Fächer eines SDS-PAGE-Gels einzufüllen. Das wird genutzt, um Proteine in Proben nach ihrer Größe zu sortieren, zum Beispiel, um dann bestimmte Proteine genauer untersuchen zu können.

Das Kommunikationsteam hat Spaß am Selfie-Stand. Bild: privat.

In echte Labors wie diesem dürfen die Besucherinnen und Besucher keine Fotoapparate mitnehmen. Echt aussehende Laborfotos können sie bei dieser Langen Nacht trotzdem machen – bei der „Selfie-Station“ im Foyer des MDC.C. Hier hat die Kommunikationsabteilung des MDC eine lebensgroße Labor-Fotowand aufgebaut sowie einen Tisch, auf dem die nötigen Utensilien wie Laborkittel, Reaktionsgefäße, Pipetten, Handschuhe und Schutzbrille bereitliegen. Die „Laborwand“ taugt zur Inszenierung der unterschiedlichsten Fotomotive, eine Gelegenheit, die vor allem Familien und Pärchen gerne nutzen. Wissenschaft zum Anfassen ist toll – besonders, wenn man mit einem ganz besonderen Erinnerungsfoto beweisen kann, dass man dabei war.

 

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