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Ohne Tierversuche

Es geht auch ohne – zumindest zu einem großen Teil

Zell- und dreidimensionale Gewebekulturen, Computermodelle und KI – es gibt viele Wege, biomedizinisch zu forschen. Auch Studien mit Zellmaterial von Menschen und epidemiologische Untersuchungen liefern wertvolle Ergebnisse.

Viele Forschungsgruppen am Max Delbrück Center arbeiten ausschließlich mit tierversuchsfreien Methoden, nutzen zum Beispiel Daten von Patient*innen oder menschliche Gewebe, forschen mit Organoiden oder Computermodellen. Andere Gruppen kombinieren die Methoden: Sie prüfen ihre Hypothese zunächst am Computer oder mit Zellkulturen. Erst danach – und auch nur wenn es unverzichtbar ist – forschen sie an einem Tiermodell weiter. Und ganz zum Schluss, wenn die Arbeit mit den Tiermodellen erfolgreich war, können klinische Studien folgen und menschliche Probanden bekommen zum Beispiel den neuen Wirkstoff.

Das Max Delbrück Center ist am Berliner Einstein-Zentrum 3R, dessen Vorbeitung 2020 beschlossen wurde, direkt beteiligt. Dieses Zentrum will die Entwicklung von alternativen Methoden zum Tierversuch in der biomedizinischen Forschung vorantreiben und Tierversuche reduzieren oder ersetzen. Es nimmt voraussichtlich 2021 seine Arbeit auf.

Die wichtigsten Fragen und Antworten

Welche alternativen/tierversuchsfreien Methoden nutzt das Max Delbrück Center?

 

Tierversuche sind nur eine von vielen Experimentalmethoden, die Forscherinnen und Forscher bei ihren Studien anwenden. Grob geschätzt nutzen sie für mehr als die Hälfte der Experimente Zellmodelle, ca. ein Drittel sind Computersimulationen („in silicio“), der Rest sind Tierversuche. Allerdings ist die Abgrenzung der Methoden nicht so eindeutig wie sie klingt: Denn auch für das Anlegen von Zellkulturen wird Gewebe von Versuchstieren verwendet – soweit keine von menschlichen Patient*innen gespendete Gewebeproben zur Verfügung stehen. Das gilt auch für dreidimensionale Gewebekulturen, Organoide oder Mini-Organe, mit denen am Max Delbrück Center gearbeitet wird.

Wichtig ist, dass der Tierversuch immer erst dann gemacht werden, wenn die Forschungsfrage nicht mehr mit anderen Methoden beantwortet werden kann.

Die Verwendung menschlicher Gewebeproben kann insbesondere in Kombination mit neuen Analysetechniken wichtige Erkenntnisse bringen. So hat ein internationales Team unter Leitung des Max Delbrück Center eine Vielzahl winziger Proteine in menschlichem Herzgewebe gefunden, die von Mäusen nicht bekannt waren, die aber vermutlich für Herzerkrankungen beim Menschen eine wichtige Rolle spielen.

Wenn Tierversuche aus Sicht der Wissenschaftler*innen für die Fragestellung zwingend notwendig sind, muss jedes Forschungsteam im Genehmigungsantrag die Gründe erläutern. Dazu gehört vorab eine intensive Recherche nach alternativen Methoden. Nur wenn es keine Alternativmethoden gibt, hat der Antrag Aussicht auf Erfolg. Der Antrag wird dann von der Behörde, in Berlin ist es das LAGeSo, zusammen mit einer unabhängigen und beratenden Tierschutzkommission geprüft. Die Tierschutzkommission erteilt eine schriftliche Stellungnahme und unterstützt die Genehmigungsbehörde so bei der Entscheidung über den Antrag. Die Mitglieder der Kommission werden zu mindestens einem Drittel auf Vorschlag von Tierschutzorganisationen berufen. Der Kommission gehören fachkundige Tierärzt*innen, Wissenschaftler*innen und Ärzte und Ärztinnen an, alle Mitglieder sind ehrenamtlich tätig.

Was sind Organoide und wie wird mit ihnen am Max Delbrück Center geforscht?

Organoide sind Vorstufen künstlicher Organe – Zellverbände, die sich im Reagenzglas („in vitro“) aus Stammzellen herstellen lassen. Mit Organoiden werden Krankheitsprozesse dreidimensional nachgebildet und dadurch besser verstanden.

Organoide sind Vorstufen künstlicher Organe – Zellverbände, die sich im Reagenzglas („in vitro“) aus Stammzellen herstellen lassen. Unter geeigneten Bedingungen bilden die Zellen spontan eine wenige Millimeter große, dreidimensionale Struktur aus. Etliche Organe und Gewebetypen lassen sich auf diese Art und Weise inzwischen im Labor nachbilden. 

© Sina Bartfeld

Organoide könnten in Zukunft sicherlich Tierversuche teilweise ersetzen. Deshalb gibt es bei uns eine Technologie-Plattform für Organoide. Dort werden Organoide entwickelt, um Krankheitsprozesse dreidimensional nachzubilden und diese dadurch besser zu verstehen. Zum Beispiel untersucht eine unserer Forschungsgruppen, wie neuromuskuläre Organoide über einen längeren Zeitraum im Labor erhalten werden können und inwieweit diese mit „echtem“ Gewebe vergleichbar sind. Diese Organoide sind ein vielversprechendes Modell, um neurodegenerative Krankheiten wie die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zu erforschen. ALS ist eine nicht heilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, die zu Schwächung der Muskeln an Armen und Beinen sowie der Atemmuskulatur führt. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es zur Lähmung der Muskulatur, die Lebenserwartung der Betroffenen ist in der Regel auf drei bis vier Jahre verkürzt.

Allerdings sind der Forschung an Organoiden momentan noch klare Grenzen gesetzt. So können Organoide nicht die gesamten Körperfunktionen und ihr Zusammenspiel oder etwa Sinneserfahrungen simulieren.